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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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wieder wahr.« Manu lachte. »Schade eigentlich. Mir hätte die Theorie gut gefallen vom verfolgten Mädchen, das ein Buch als Lebensversicherung in einem Buchladen hinterlegt.«
     
    Je weiter ich mich auf der Heimfahrt von Tübingen entfernte, desto unklarer wurde mein Bild von Marie. Nur eins schien mir sicher, als ich im ersten Stau am Echterdinger Ei bremste: Marie hatte sich nach der Ermordung von Benno Ohnesorg vor dem Zeugenstand drücken müssen, denn das Buch hätte nicht nur den Schuss auf Richard belegt, sondern eben auch ihre Verstrickung in eine Szene offenbart, die sich als Kampftruppe für einen künftigen Krieg formierte.
    Und heute wollte sie davon auch nichts wissen, weil es sie ihre Existenz kosten würde.
    Auf der Weinsteige bremste mich ein Fußballjubel-Corso aus und gab mir Zeit für den Gedanken, dass ich immerhin diesen Wolfi identifiziert hatte: Wolfgang … wie hatte der geheißen? Ich zog Manus Blatt und das Buch aus meiner Tasche. Da stand es: Wolfgang Sehrader.
    Eine Stunde brauchte ich, um mich durch alle Corsi zu fädeln. Dann konnte ich mich an den Computer setzen: »Wolfgang Sehrader«. Google ging gleich zu anderen Schreibweisen über: »Wolfgang Schrader«.

    Ich nahm das Buch noch mal her und ging Buchstabe für Buchstabe den Abschnitt durch. »… der ganze S chweinkram ließe si eh unterwandern, nasfüh r en, überrumpeln, einschüchtern, k a mpflos abschaffen. Macht das klar, d aß di e R evolution kein Osterspaziergang sein wird.« Ergibt: Schrader.
    Und beinahe hätte ich es wieder übersehen. Marie hat te sich im dunklen Büro ihres Buchbinderlehrmeisters vertippt. In »sieh« stand ein e anstelle eines c. Und weil das Wort Sinn ergab, wenn auch den falschen, hatte Manu sich ebenfalls verguckt. Und das hieß: Maries Freund Wolfi hatte Wolfgang Schrader geheißen!
    Ich sprang auf und rannte durch die Wohnung. Das hieß … das hieß … aber das bedeutete doch … Ja, was bedeutete das genau? Nun seid doch mal still! Durch die Neckarstraße hupten und tröteten, unbeeindruckt von jemandem, der denken musste, die Sieger.
    Es war kein Zufall gewesen, dass Richard mich zu der Lesung von Lola Schrader geschleppt hatte. Michel Schrader war zu jung, um Wolfi zu sein, aber sein Vater, also Lolas Großvater, der könnte es gewesen sein. Richard hatte es längst gewusst, und nun sollte ich es aufdecken. Weil er es nicht konnte, nicht wollte, weil er sich dieser undankbaren Schnepfe Marie immer noch verpflichtet fühlte, andererseits aber auch wieder wünschte, dass ein Mörder als Mörder verurteilt wurde und sie die dafür nötige Zeugenaussage machte.
    Typisch Richard! Delegieren und im Hintergrund Regie führen. Und ich war sein Kasperle. Er wusste genau, auf welches Knöpfchen er drücken musste, damit ich loshetzte, um Mächtige zu köpfen und Hochmütige zu stürzen. Und er war lebenserfahren genug zu wissen, dass er sein eigenes Ansehen und seine Karriere verspielen wür de, wenn er selbst dafür sorgte, dass diese Person, die Marie Küfer heute war, öffentlich mit den Vorgängen des Jahres 1967 in Verbindung gebracht wurde. Sie musste eine sehr angesehene Person sein, eine, die zurücktreten musste, wenn ihre Integrität infrage stand, also eine Politikerin!
    Ich setzte mich wieder und simste an Lola die Frage, ob ihr Großvater Wolfgang heiße. Sie simste zurück, er habe so geheißen, sei aber vor zwei Jahren gestorben, genauer, habe sich auf dem Dachboden seines Hauses in Tübingen erhängt.
    Das war ein Detail, das mit der Biografie ihrer Romanheldin übereinstimmte. Wenn das andere auch stimmte, dann war ihr Vater das uneheliche Kind Wolfgangs mit einer Kommilitonin. Lolas Interpretation zufolge hatte sie das Kind nicht haben wollen und war zum Studium ins Ausland gegangen. Der Bub war bei ihren gestrengen Eltern geblieben und hatte ein oder zwei Traumata erlitten. Wolfgang hatte schließlich sein Studi um abgeschlossen, war Lehrer geworden, hatte die Tochter eines Professors geheiratet und den Jungen zu sich genommen, als er fünf Jahre alt war. Dafür hatte sich seine Frau nicht nur durch Kinderlosigkeit gerächt, sondern auch durch eine sich über Jahre erstreckende Krebserkrankung. Als sie endlich tot war, waren alle erleichtert, Wolfgang, Michel und Lola, und bestürzt, wie sehr man sich über den Tod eines Menschen freuen konnte. Sie hatten es zusammen im Gasthaus Ilysia am Wallgraben krachen lassen.
    Bis heute wusste Lola nicht, wer die Mutter ihres Vaters war.

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