Malefizkrott
fünf Jahren mit dem Rauchen aufgehört, eine Zigarette von mir. »Ach, ich weiß nicht.«
»Und wenn Marie Küfer es war, die das getippt und die Namen der beteiligten Personen darin versteckt hat, warum ist sie selbst nicht mit dabei? Das kann doch nur heißen …«
»Dass sie …«
»Dass sie sich davon distanziert hat«, resümierte ich, »aber davon wusste und wollte, dass es bekannt wird, ohne dass sie selbst zur Polizei gehen und sich auf diese Weise exponieren muss.«
»Ja«, sprang mir Manu bei, »und sie hoffte, dass das Buch gefunden, richtig verstanden und die Botschaft entdeckt würde und dass jemand damit zur Polizei ginge und diese Leute verhaftet würden.«
»Und tatsächlich«, ergänzte ich, »wurde das Buch bei Ursprung von einem Unbeteiligten entdeckt. Er hat allerdings die geheime Botschaft nicht bemerkt.«
War ich mir da so sicher? Alle Geschichten, die Richard über das Buch erzählt hatte, waren geeignet gewesen, mich vom Eigentlichen abzulenken. Andererseits hatte er es mir überlassen.
Manu unterbrach meinen Gedanken vor der Verfertigung. »Sehrader«, grübelte sie. »Wer das wohl ist. Baader und Ensslin, die kennt man, auch Brigitte Asdonk ist mir ein Begriff.«
Ich ahnte, dass Durs Ursprung mir Manu nicht empfohlen hatte, weil sie Buchbinderin, sondern weil sie Spezialistin in Sachen RAF war. Und das bedeutete, dass auch er das Buch und seine geheimen Texte gekannt hatte.
»Aber wieso«, fragte ich mich laut, »hat Marie das Buch in einer linken Buchhandlung deponiert? Da konn te sie doch nicht damit rechnen, dass jemand zur Polizei geht … Ach nein, sie hat ja behauptet, sie sei es nicht gewesen. Das Buch sei ihr abhandengekommen.«
Manu schaute mich neugierig an. »Scheint ja ein echtes Rätsel zu sein.«
»Ja, gell!«
»Vielleicht war Marie … nicht direkt beteiligt«, schlug Manu vor. »Sie war nur die Buchbinderin. Und dann hat sie die Texte genauer gelesen und es mit der Angst zu tun bekommen und das Buch weggeworfen.«
Das passte zumindest zu der Feigheit, über die auch Richard sich geärgert hatte.
»Und jemand anders hat es dann zu Durs getragen.«
Ich stöhnte. »Das gefällt mir nicht. Das macht die gan ze Geschichte kaputt.«
Manu lachte. »Es kann nicht immer alles nach eige nem Gefallen gehen. Das Leben ist kompliziert und vol ler Ungereimtheiten. Zum Beispiel könnte Marie von dem Wunsch beseelt gewesen sein, ihre eigenen Irrungen und Wirrungen zu beichten.«
»Himmel, Herrgott, Sakrament!«
»Ja, ich meine: Gegen die Leute unternehmen konnte sie nichts, sie hätte ihre Freunde anschwärzen müssen. Doch irgendwie musste sie ihr Gewissen entlasten, und zwar nach guter alter pietistischer Tradition in einem Buch. Und so hat sie das Manifest genommen und die Namen der Leute, die den bewaffneten Kampf gelobten, darin untergebracht, ein Buch gebunden und es in die Öffentlichkeit getragen, sprich, bei Durs hinterlegt.«
»Klingt wie im guten alten Krimi: Eure Namen sind hinterlegt, und wenn mir was zustößt, wird jemand den Umschlag – oder Buchdeckel – öffnen, und man wird wissen, wer ihr seid.«
»Ja, auf Verrat stand der Tod. Und wenn Marie das Manifest kannte, war sie dabei, jedenfalls am Anfang. Gut möglich, dass sie Angst hatte, ihr Leben sei in Gefahr, wenn sie abspringt. Kann man sich heute gar nicht mehr richtig vorstellen, diese Art von Räuber-und-Gendarm-Spiel, das ja zunehmend Realität wurde: Verstecke suchen, immer das Gefühl, verfolgt zu werden. Rote Zoras mit klarem Feindbild. Sie wussten, wie man das an seine naturgegebene Autorität glaubende Bürgertum bis zur Weißglut reizte. Sie haben provoziert wie die Kinder. Nur dass es auf einmal um Leben und Tod ging. 34 Menschen hat die RAF ermordet. Und doch waren wir auch immer fasziniert. Meine Freundin und ich, wir haben uns stundenlang ausgemalt, einer gesuchten RAF-Terroristin Unterschlupf zu gewähren. Man war gespalten, verstehen Sie. Studenten haben nach der Ermordung von Generalbundesanwalt Buback 1977 in Karlsruhe in einem linken Blatt dafür den Begriff von der ›klammheimlichen Freude‹ geprägt.«
Dieses Gefühl hatte Richard mit Sicherheit niemals empfunden.
»Aber all das«, wandte ich ein, »hat man aus diesem Manifest noch gar nicht ersehen können. Da steht nichts von Sprengstoffanschlägen und Morden. Es sind Phrasen im damaligen Politjargon. Wo steckte die Gefahr für Ma rie? Brisant wird der Text doch erst im Rückblick, wenn man weiß, wo es endete.«
»Auch
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