Malefizkrott
billigen Sprüchebüchlein gekauft hatte. Das Feuer war in einem Aschenbecher im Büro ausgebrochen, was umso verwunderlicher war, weil niemand rauchte und der Aschenbecher eigentlich nicht benutzt wurde. Der Ladeninhaber erzählte, die Polizei habe eine Chemikalie gefunden, deren Herkunft noch unerklärlicher war, eine Zinkmischung, die sich mit Wasser entzündete. Der Schaden im Büro sei beträchtlich gewesen. Die Brandsachverständigen hätten in den Resten ein Drahtgestell gefunden – gerade groß genug, um es über den Aschenbecher zu legen –, dessen Sinn und Zweck man der Polizei auch nicht habe erklären können. Man war übereingekommen, dass sich da jemand einen bösen Scherz erlaubt habe.
Oder der Brandstifter hatte nach einem Mittel gesucht, den Ausbruch des Feuers zu verzögern, nachdem er einmal festgestellt hatte, dass die Sache mit Zinkpulver, Natriumperoxid und Wasser im Prinzip gut funktionierte. Wie aber brachte man Wasser dazu, zu warten? Indem man es gefror. Ein Eisstück, auf ein Drahtgestell oder ein Regal über das Zinkpulver gelegt, begann zu tauen und zu tropfen. Durch ein Gitter tropfte es schneller, als Flüssigkeit von einem Regalbrett lief. Und puff!
So hätten wir alle unten in Ursprungs Keller gesessen, während oben das Feuer ausbrach. Kurioserweise hatte es dann just in dem Moment gezischt, als Ruben Ur sprung hochgegangen war, um zu schauen, wer die Ladenglocke zum Bimmeln gebracht hatte.
Offenbar kam es dem Brandstifter darauf an, woanders zu sein, wenn sein Feuer ausbrach. Aber wer brauchte ein Alibi? Einem Sniper waren die Alibis egal, er zog vogelfrei umher und genoss es, zu töten. Einer aber, der aus dem Tod einer bestimmten Person einen Nutzen zog, der brauchte es. Womit ich wieder einmal bei Ruben Ursprung war. Er schlug den größten Vorteil aus der Brandschutzversicherung und dem Tod seines Vaters, vor allem wenn der wirklich Vermögen gehabt hatte.
Einer, der wiederum für keines der Ereignisse ein Ali bi hatte, war Michel Schrader. Ich hatte mich nicht darum gekümmert, herauszufinden, wo er gewesen war, als die tote Taube gegen das Schaufenster von Thalestris flog. Hingegen war er bei beiden Buchladenbränden nach den Lesungen seiner Tochter dabei gewesen, und jedes Mal war er als Letzter mit der Hand am Hosenstall angetreppelt. Andererseits hatte ihn keine der Buchhändlerinnen und Buchhändler wiedererkannt, die ich gefragt hatte.
Ich schickte die Ergebnisse meiner Recherche an Christoph Weininger. Ein paar Tage später meldete sich ein Mitarbeiter der Operativen Fallanalyse bei mir und lud mich zu einer Befragung ins LKA ein, die einen ganzen Tag dauerte.
Übers Wochenende fuhr ich nach Münsingen, ging mit Sally wandern und brachte sieund unser Getier wieder nach Stuttgart zurück. Während Richard zwei Prozesse gewann, einen gegen ein Reinigungsunternehmen und einen zweiten gegen eine Bordellkette, die für ihre Angestellten Sozialabgaben in Millionenhöhe hinterzogen hatte, erforschte ich über Tage hinweg Lolas Facebook-Netzwerk von mittlerweile 256 Freundinnen.
US-Geheimdienste analysierten solche Netzwerke, hatte ich gelesen, um die Gruppen zu finden, die isoliert von anderen einen regen Kontakt untereinander pflegten. Solche Leute waren dann Terroristen. Allerdings lagen bei Facebook die Kommunikationsinhalte offen. In Lolas Netzwerk gab es aber auch an die hundert Personen, die sich bei ihr so gut wie nie einmischten, dafür aber woanders ihr Zentrum hatten, und es gab ein gutes Dutzend stille Verehrer, die kaum kommunizierten, weder mit Lola noch mit anderen. Nino Villar gehörte dazu, aber auch Michel Schrader.
Eine riesige Blase hatte wiederum der nette Typ aus der Figurentheaterhochschule, Adrian Weinrich, aufgebaut. Und darin stieß ich unvermutet auf den Rothaarigen mit den vielen Ohrringen. Er hieß Florian Eisenblatt und gehörte einer Facebook-Gruppe von BookCrossern an, die sich einen Sport daraus machte, Bücher in der Öffent lichkeit auszusetzen – in Regalen, auf Mensatischen, un ter Mauervorsprüngen –, um dann ihren Weg zu verfolgen. Damit das gelang, musste der Finder sich über eine Webseite mit ihnen in Verbindung setzen und eine BCID-Nummer angeben. Fan dieser Gruppe war auch Durs Ursprung gewesen. Wer tot war, lebte noch lange in Facebook weiter.
Dann machte ich mich daran, die Festplatteninhalte von Lola und Michel Schrader zu durchstöbern, die Wagner für mich auf einem Rechner in Übersee abgelegt hatte. Aber ich kann
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