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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Küchenfensters war ein Fenster erleuchtet.
    Ich wählte Richards Büronummer. Er war sofort dran.
    »Ich weiß, wer Marie Küfer ist!«
    Er atmete aus. »Und was machst du mit dem Wissen?«
    »Ich werde sie erpressen, denke ich.«
    »Hm. Ist gut.«
    Jetzt atmete ich aus. »Oder möchtest du, dass ich was anderes tue?«
    »Was denn sonst?«
    »Na hör mal, Richard. Sie hatte sehr früh Kontakt zu den späteren RAF-Terroristen Ensslin, Baader und den anderen. Womöglich stammt der erste Entwurf des Gründungstexts der RAF von ihr.«
    »Und?«
    Ich musste lachen. »Was glaubst du, was passiert, wenn bekannt wird, dass unsere Kulturstaatsministerin ein Manifest geschrieben und in einem Buch – einem einzigen nur, aber immerhin – veröffentlicht hat, das heute als Dokument der Gründung der Rote Armee Fraktion gilt? Da erscheint doch auch die Tatsache in ganz anderem Licht, dass sie sich vor der Zeugenaussage gegen den Beschuldigten im Tötungsfall Benno Ohnesorg gedrückt hat. Der Zorn darüber, dass der Schütze nicht verurteilt wurde, war in linken, an einer Eskalation interessierten Kreisen durchaus erwünscht.«
    »Das war damals gar nicht abzusehen.«
    Vielleicht hatte er recht. Revolutionäre Verirrungen schmücken die Jugend. »Ich bin die Letzte«, sagte ich, »die ihr daraus einen Strick drehen möchte, Richard. Als Journalistin aber muss ich es tun.«
    Er schnaubte.
    »Ehe es ein anderer tut!«
    »Seit wann ist das, was andere tun, ein Maßstab für dich, Lisa?«
    »Lenk nicht ab, Richard. Sie muss aussagen im Mordprozess um den Tod von Ohnesorg, falls es zu diesem Prozess wirklich kommt. Und genau das willst du doch auch! Oder?«
    »Ach Lisa, das ist alles so lange her. Ich kann nicht mehr beschwören, dass der Kerl wirklich vorher schon gedroht hat, er werde einen von uns Hunden kaltmachen in dieser Nacht. Damals hätte ich es beschworen. Aber heute? Die Erinnerung ist ein Wechselbalg.«
    »Deine nicht! Du hast eine Festplatte im Hirn.«
    »Unser Gedächtnis funktioniert eben nicht wie eine Festplatte. Wenn wir den Text wieder öffnen, also wenn wir eine Erinnerung hervorholen, dann verändert sie sich, während wir sie erzählen. Wir kürzen, wir malen aus, wir überspielen Ungereimtheiten, wir fügen zueinander, wir passen sie logischen Mustern und eigenen Interpretationen an. Genau das speichern wir dann wieder ab. Holen wir sie das nächste Mal hervor, greifen wir auf die jüngs te Form zurück. Das Original geht darüber bald vollständig verloren. Das ist das Kreuz mit Zeugenaussagen. Bei der mündlichen Verhandlung bekommt der Richter im besten Fall die Aussage zu hören, die der Zeuge sich als die gemerkt hat, die er zu Protokoll gegeben hat. Und auch die kann bereits Fiktion sein. Womöglich habe ich einen ganz anderen Mann mit Pistole gesehen als den Spitzel, der mitten in der Demonstration die Drohung ausgestoßen hat. Womöglich hat gar nicht der Beklagte auf mich geschossen, sondern die Kugel stammte aus der Waffe eines Kollegen, dem die Pistole losgegangen ist. Wir haben ja das Projektil nicht mehr, das als Beweis dienen könnte.«
    »Das hat Marie! Wetten?«
    Er schwieg.
    »Oder willst du mir erklären, auch Marie erinnere sich nicht mehr? Oder bestenfalls an euer Gespräch auf dem Rückflug, und könne nicht mehr sagen, ob sie gesehen hat, wie Ohnesorg erschossen wurde?«
    »Sogar das ist möglich. Vor allem, wenn sie es vergessen wollte.«
    »Na toll!«
    Richard schwieg wieder. Ich schaute mit dem Telefon in der Hand über die Lichtinsel der Stadtbahnhaltestelle Stöckach zu seinem Fenster hinüber. Vermutlich saß er mit dem Rücken zu mir an seinem uralten Amtsstuben schreibtisch, umgeben von juristischen Nachschlagewer ken, vor Augen den schwarzen Safe seines Vorgängers in der Ecke, den von einer Spezialfirma abtransportieren zu lassen nie genug Wille und Geld vorhanden gewesen war.
    »Wie wär’s, wenn du mal nach Berlin fährst, Richard, und mit ihr redest. Sie freut sich sicher, dich zu sehen.« Er lachte unfroh.

 
     
24
     
    Als die Fußball-WM sich ausgetrötet hatte und eine neu er Bundespräsident gewählt worden war, hatte ich Karin Beckers Feuerliste abgereist. Der Rothaarige war nirgendwo mehr auffällig geworden. Die Inhaber der Ostend-Buchhandlung erinnerten sich allerdings an einen älteren Mann von unangenehmer Ausstrahlung – massig wollten sie ihn nicht nennen, aber dünn sei er auch nicht gewesen –, der lange im Laden gewesen war, dann aber nur eines der

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