Malefizkrott
Ob Michel es wusste, wusste zumindest die Romanheldin nicht. Vermutete es aber, malte sich aus, sie sei eine berühmte Schauspielerin, weshalb ihr Vater eine Schauspielerin geheiratet habe, um sich an Unzuverlässigkeit, Untreue und Unordnung abzuarbeiten.
Zum ixten Mal gab ich Marie Küfer in Google ein. Nichts Neues. Aber zum ersten Mal begab ich mich auf die Seite des Deutschen Bundestags und durchforstete die Parlamentarierinnen. Wer aus dem Wahlkreis Tübingen stammte, war nicht unbedingt in Tübingen geboren. Irrweg aufgrund eines Denkfehlers. Ich wechselte auf die Seite der Bundesregierung. Die Minister waren schnell gesichtet. Von den Ministerinnen kam keine aus Tübin gen. Aber da gab es etwas versteckt noch eine Beauftragte für Kultur und Medien, die Marianne Brandel hieß und den Rang einer Staatsministerin bekleidete.
Geboren am 4. Januar 1946 in Tübingen, verheiratet, zwei Kinder. Abitur 1964 am Uhland-Gymnasium. Danach Studium der Anglistik und Germanistik in Tübingen und Harvard mit Abschluss Promotion. Dann Habilitation und Professur für vergleichende Literaturwissenschaften in Hamburg, später Berlin, Beraterin der Industrie, Vorsitzende diverser Stiftungen, die Karriere einer intellektuellen Frau mit Sinn für Macht. Seit fünf Jahren war sie nun Kulturstaatsministerin und Schirmherrin des von ihr ins Leben gerufenen Deutschen Literaturpreises für das beste Romandebüt, der alljährlich neben dem Deutschen Buchpreis vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels auf der Frankfurter Buchmesse vergeben wurde und mit zehntausend Euro dotiert war.
Ich hatte kein sonderlich deutliches Bild von ihr im Kopf. Sie war die Andere, die ich nie sein würde, die mich nie anschauen, mir nie die Hand reichen würde, mit der es kein einziges gemeinsames Thema gab. Ich war Proll. Sie war die Kultur, eine Dame von Welt, urteilssi cher und nie anstößig. Die Internetfotos zeigten eine filigrane platinblonde Dame mit mächtigen Tüchern zu einfarbigen Blazern, stets frisiert, dezent geschminkt und mit gestrengem Lächeln auf den Lippen. Sie hatte zuletzt große Reden gehalten über Urheberrechte im Internet, mit denen die Schriftstellerverbände einigermaßen zufrieden gewesen waren. Überhaupt schienen alle sehr zufrieden mit ihr zu sein. Private Informationen keine. Mit dem Internet hatte sie es nicht so. Im Gegensatz zu anderen Politikern pflegten ihre Mitarbeiter keine Facebookseite für sie. Bei Amazon war sie mit fünf Büchern über Kulturförderung und diverse internationale und nationale Literaturpreise vertreten.
Und das alles bedeutete keineswegs, dass Marianne Brandel identisch war mit Marie Küfer, auch wenn Marie als Kurzname von Marianne taugte.
Ich hätte nun einfach Richard anrufen und ihn mit meiner Entdeckung konfrontieren können. Es fiel ihm schwer zu lügen, wenn man ihn direkt fragte. Aber es war eindeutig schöner, es selbst herauszufinden. Es ging gar nicht, dass eine Karrierefrau wie sie sich mit ihrem Privatleben komplett aus dem weltweiten Netz heraushalten konnte.
Nach zwei Stunden Spielerei mit Suchbegriffen stieß ich unter der Verbindung »Brandel Ursprung« auf einen Bericht des Stuttgarter Anzeigers über einen Besuch Ma rianne Brandels in der Buchhandlung Ursprung. Die Fotos zeigten sie überbordend elegant neben dem verknitterten Buchhändler und seinem Sohn Ruben mit Knebelbart und Stirnband.
Brandel erinnerte sich, als Studentin diesen Buchladen frequentiert zu haben, redete der Stadtteilbuchhandlung das Lob und würdigte insbesondere die von Ursprung als Hort der Gelehrsamkeit und als Kulturinstitution, die es zu schützen und zu bewahren gelte. Dazu bemerkte Durs Ursprung: »Buchhändler sind immer Hungerleider gewesen. Das hilft, den Sinn für den Gedanken des Aufruhrs wachzuhalten.« Und Marianne Brandel sagte: »Ja, das ist leider nur zu wahr. Meine Urgroßväter waren Verleger und Buchdrucker, und mein Großvater war Buchbinder.«
Ha!
Ein kleines Türchen war offen, das zweite öffnete sich wenig später. Hinter fünf internen Links auf der Seite des Uhland-Gymnasiums, auf der ich schon mal gewesen war, entdeckte ich die pdf-Datei des Referats einer Schülerin über die Kulturstaatsministerin Marianne Brandel, geb. Küfer, Werdegang und Wirkung, Tochter eines Oberpostdirektors Hermann Küfer.
In der Neckarstraße verhupten sich die letzten Sieger. Der Bunker der Staatsanwaltschaft stand wie üblich im hellen Licht seiner Sicherheitsstrahler und auf Höhe meines
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