Malefizkrott
nicht behaupten, dass es mich wirklich weiterbrachte. Es gab Dutzende Versionen diverser Kapitel der Malefizkrott auf beiden Rechnern. Papa hatte offenbar immer wieder durchlesen müssen. Aus dem Pingpong der Kopien war allerdings klar ersichtlich, dass Lola die Autorin war und der Vater korrigiert und kommentiert hatte.
Außerdem gab es in Lolas Ordnern kilometerlange Kopien aus Internetseiten über BDSM mit dem zugehörigen Vokabular, Auszüge aus anderen Romanen, sofern sie im Internet abgreifbar gewesen waren, und aus zahllosen Blogs. Von wegen, man könne nicht nachvollziehen, mit welcher virtuellen Bibliothek die Internetgeneration gearbeitet hatte.
Das Buch von Matthias Kern war in keiner E-Version auf dem Rechner. Allerdings fand ich in Michel Schraders E-Mail-Dateien eine Rechnung von Amazon über genau dieses Buch. Na, also!
Als die Schulferien nahten, verkündete Lola Schrader auf Facebook, dass der Literaturfürst Heinrich Weinrich sie Donnerstagabend in der Sendung Der Buchstab besprechen werde. Richard rief mich an, um mir dasselbe mitzuteilen. »Du hast doch sicher nicht die Fernsehzeitschrift studiert.«
»Nee, aber Facebook. Wann meldest du dich da endlich an, Richard? Das kann durchaus nützlich sein für die Ermittlung eines Täterumfelds.«
»So? Glaubst du, ein Betrüger wirbt das Opfer als Freund und postet den Erfolg? Wieder zwei Millionen mit gefälschtem Scheck bei den Dödeln der Soundsobank ergaunert.«
»Immerhin weiß ich inzwischen, dass Durs Ursprung seine Aktion ›Socken kaufen bei Walfisch‹ auf der Facebookseite ›5 Millionen für Stuttgart‹ angekündigt hat. Es hat also jeder wissen können, dass er an besagtem Tag um eine bestimmte Uhrzeit dort sein würde. Dass sonst niemand gekommen ist, war nicht vorhersehbar. Damit steht auch fest, dass Durs Ursprungs Mörder bei Facebook angemeldet ist.«
»Facebook hat sieben Millionen Mitglieder.«
»Leider! Kommst du nachher noch?«
»Wenn du willst?«
So kam es, dass Richard und ich uns kurz vor Mitternacht eine Sendung anschauten, die ich normalerweise samt Fernseher durch die geschlossene Fensterscheibe geworfen hätte. Heinrich Weinrich war ein alter Frankenstein. Meine Mutter hatte mir eingeschärft, für Hässlichkeit könne man nichts. Aber wenn einer so birnenförmig und breitbeinig im Sessel hing wie Weinrich und pflaumengroße schwarze Wucherungen auf der Nase und am linken unteren Augenlid kultivierte, dann war er vollumfänglich verantwortlich. Außerdem sprach Weinrich nicht, sondern schmatzte: »Eine zornige junge Frau feiert ihr literarisches Debüt, und wir stehen sprachlos und staunen über die Souveränität der Ironie und die Raffinesse der Intertextualität in diesem so jungen und doch bereits so reifen Roman.«
Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da schrillte mein Telefon.
»Intertextualität, haben Sie das gehört! Ach so, ja, Matthias Kern hier, Sie erinnern sich …«
»Klar. Was macht die Hüfte?«
»Das wird schon, muss ja! Haben Sie das eben gehört, was diese Bücherwarze verzapft? Oder schauen Sie das gar nicht an? Er hat es gemerkt. Er nennt es Intertextualität. Ich nenne es Plagiat. Das ist mein Leben, nicht ihrs. Ich habe das erlebt! Sie benutzt es, als ob es ihrs wäre!«
Ich fragte mich, ob Schriftsteller eigentlich immer ihr eigenes dummes Leben für ihr Streben nach Ruhm missbrauchten. Oder beuteten sie es nur aus, um Literatur zu schaffen? Und wollten sie nun eigentlich berühmt werden oder nur ihr Ding machen?
»Und wann werden Sie die Bombe platzen lassen?«, fragte ich.
»Sobald ich alles beisammenhabe. So etwas ist heikel. Wenn ein unbekannter Autor einem berühmten vorwirft, er habe geklaut, sagen die Leute schnell, die arme Sau will nur was abhaben vom Kuchen.«
»Haben Sie Michel Schrader denn schon mal gefragt, was er zahlen würde?«
»Mir geht es nicht ums Geld. Es geht um Diebstahl geistigen Eigentums. Um Anstand und Respekt unter Autoren!«
Um Ruhm, ich verstand. »Aber vielleicht würden Sie einen besseren Schnitt machen, wenn Sie sich für Ihr Stillschweigen von Schrader auszahlen lassen, als wenn Sie herumschreien und vor Gericht ziehen. Und dann schreiben Sie halt ein neues Buch.«
Matthias lachte böse. »Das dann genauso wenig beachtet wird wie das erste?«
Ah! Ich kapierte. »Sie wollen im Schweif von Lolas Ruhm Ihren eigenen Namen bekannt machen.«
»Das mag ein Nebeneffekt sein. Aber darum geht es mir nicht. Man muss einen Dieb auch einen Dieb nennen
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