Malefizkrott
dürfen, ohne dass einem eigennützige Motive unterstellt werden. Es ist ein Armutszeugnis für diese Kulturgeiferer, wenn eine siebzehnjährige Gymnasiastin, nur weil sie Tochter einer Schauspielerin ist und der Vater über einen seiner Studenten den Kontakt zu Heinrich Weinrich ausnutzt, auf den Bestsellerlisten landet und gefeiert wird, obgleich sie nichts anderes macht als ich seit zwanzig Jahren. Es ist zum Verzweifeln! Anscheinend muss man wirklich nur jung und weiblich sein und einen Schauspieler in der Familie haben, damit alle aus dem Häuschen geraten und von großer Literatur reden. Fehlt nur noch, dass sie sie für den Deutschen Literaturpreises für das beste Romandebüt nominieren.«
»Und wann ist das?«
»Die Jury gibt die drei Nominierten meistens Ende August bekannt. Aber wenn das passiert … und sollte sie den Preis tatsächlich bekommen, dann … dann … erschieße ich mich.«
»Haben Sie denn eine Schusswaffe?«
»Eine aufzutreiben wird mein geringstes Problem sein, glauben Sie mir«, sagte er.
»Und was wäre Ihr größtes?«
Er lachte.
25
Derzeit waren keine weiteren Lesungen geplant. Die Kultur fiel langsam in den Sommerschlaf und in Stuttgart fieberte das gebildete Bürgertum der großen Schlacht um den Bahnhof zur Rettung des Seelenheils entgegen.
Sonntagabend rief mich Michel Schrader an.
»Wir werden da morgen hingehen. Meine Frau wird eine Rede halten, und für Lola als Schriftstellerin ist es sicher günstig, wenn sie da Flagge zeigt. Ich glaube zwar nicht, dass was passiert, aber es wäre mir lieber, Sie wä ren dabei.«
»Und wo gleich noch mal?«
»Sie interessieren sich wohl gar nicht für die Stadt, in der Sie leben. Da wird ein Kulturdenkmal unwiederbringlich zerstört!«
»Andere Frage«, antwortete ich. »Wer ist Ihre Mutter?«
Er schnaufte. »Ich wüsste nicht, was das zur Sache tut.«
»Wollen Sie es mir nicht sagen oder wissen Sie es nicht?«
Michel seufzte. »Meine Tochter hat mich schon in formiert, dass Sie sie nach ihrem Großvater gefragt ha ben. Mein Vater hat mir leider nie gesagt, wer meine Mutter ist. Und ich wüsste nicht, wozu Sie das wissen müssten.«
»Die meisten Verbrechen geschehen innerhalb der Familie.«
»Je nun, mein Vater ist tot.«
»Vielleicht gibt es neidische Halbbrüder von Ihnen.«
Michel lachte abwehrend. »Mein Vater hat mit meiner Stiefmutter keine weiteren Kinder bekommen.«
»Aber Ihre leibliche Mutter könnte weitere Kinder bekommen haben, vorehelich und dann eheliche.«
Michel Schraders Stimme blieb aus.
»Sind Sie noch dran?«
Er hustete. »Könnte alles sein, aber ich möchte Sie bitten, sich auf Ihre eigentliche Aufgabe zu konzentrieren: den Schutz meiner Tochter. Bei Ihrem letzten Einsatz haben Sie sich ja nicht gerade mit Ruhm bekleckert, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten.«
»Brandursache war ein defekter Ventilator«, antworte te ich. »Und an Ihrer Stelle würde ich nicht darauf beste hen, dass in Ludwigsburg jemand Feuer gelegt hat, denn dafür kämen nur Sie oder eine der Buchhändlerinnen in Frage. Sie waren der letzte Gast, der den Laden verlassen hat.«
»Also das …« Er schluckte und sagte mit erzwungener Ruhe: »Warum sollte ich so etwas Krankhaftes tun! Da bei könnten Menschen zu Schaden kommen!«
»Außerdem sind Sie Mitglied eines Schützenvereins.«
Der Mann schnappte: »Sie wollen doch nicht allen Ernstes behaupten, ich hätte zwei Menschen erschossen?«
»Können Sie Gedanken lesen, Herr Schrader? Oder sind Sie nur so fix im Denken?«
Er lachte sein humorloses Akademikerlachen und beendete das Gespräch mit der Anweisung, an welcher Bauzaunecke ich morgen auf die Familie Schrader zu warten hatte.
Im Radio erklärte dann Lolas arrivierter Kollege Heinrich Steinfest im freundlich-fotzigen österreichischen Dialekt, er lebe seit soundso vielen Jahren in Stuttgart und anfangs habe sich die Stadt nicht für sich interessiert, hinaus sei der Blick bislang gegangen, wo die Welt verkehre. Doch auf einmal entdeckten die Bürger, die die ganze Welt bereist hätten, ein narbengesichtiges Bahnhofspostamt und versammelten sich, wo sie vordem, wenn überhaupt, nie anders als abwesenden Blicks vorbeigeeilt seien. Sein Krimi, der im Frühjahr erscheinen werde, handle von einem politikmüden Altlinken, der im Widerstand gegen den Umbau des Bahnhofs neu erwa che, wobei er mehr und mehr in zweifelhafte Aktionen abdrifte.
Der unwirtliche Platz an der Nordseite des Bahnhofs, der sonst von
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