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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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parkenden und Parkplatz suchenden Autos und Taxis beherrscht wurde und überging in den sonst nur von Anzugträgern durcheilten Glaspalast der Landesbank Baden-Württemberg, war an diesem Montagabend nicht gestopft voll, aber gut gefüllt mit Leuten, mit denen ich sonst nicht verkehrte, älteren Ehepaaren mit besorgten Mienen, Buchhändlerinnen, verstörten Akademikern, Bärtigen in Fahrradhosen und Windjacken, Rucksackbepackten mit Schildern, Trillerpfeifen und Vuvuzelas, mit Theaterdirektoren, Schriftstellern, Gewerkschaftern, Gemeinderäten. Keiner übergewichtig, alle gesund ernährt und mit dem Geist des anthroposophischem Stuttgart in den Augen und Nasenfalten. Es gab auch Blutjunge, blonde Schönheiten, gut erzogene Studenten, aber keine der glitzernd geschminkten Zicken aus den Einkaufsgalerien, kaum einen in schwarzen Klamotten mit Anarchozeichen auf der Hose.
    Lola drängte sich an mich und versuchte freiwillig auszusehen.
    Marlies Schrader war eine Frau, die sofort einen Raum um sich schuf, den sie mit Gesten und Mimik füllte. Sie trug absichtsvoll schlichte Jeans, einen jugendlichen Hüftgürtel, eine damenhafte Weste und die dunklen Haa re offen. Ihre Blicke waren intensiv, ihre Worte ofenwarm. »Wie schön, dass ich Sie endlich kennenlerne, Lisa. Meine Tochter ist ja ganz hin und weg von Ihnen.« Dann erkannte sie jemand, sie schuf einen neuen Raum von Gestik, Mimik und Händedruck, und ich war nicht mehr existent. Michel Schrader sah aus, als sei er das schon lange nicht mehr.
    »Und darf ich dir/Ihnen meine Tochter Lola vorstellen«, sagte Marlies zu jedem, der sie auf unserem Weg in die Demo erkannte und ansprach, »ja, die Schriftstellerin. Ich bin sehr stolz auf sie. Die Rezensionen sind durch die Bank exzellent, geradezu stürmisch. Letzten Donnerstag war sie bei Weinrich im Buchstab . Jetzt muss der Verlag nachdrucken. Achtzigtausend verkaufte Bücher in den letzten zwei Wochen!«
    Wenn die Augen ihrer Gesprächspartner sich dann höchst interessiert dem Kind zuwandten, erzählte sie raumgreifend, sie sei extra aus Rom gekommen, um heu te hier zu reden. »Das kann man doch nicht zulassen! Das ist undemokratisch. Diese unmusischen Technokraten, diese Banausen. Sie nehmen uns das Herz! All die hundertjährigen Platanen, die sie fällen wollen! Die Zeiten sind vorbei, habe ich immer gedacht. Wozu haben wir damals gegen die Startbahn West protestiert!«
    Die war allerdings gebaut worden.
    Ein Rentner mit Frau am Arm reichte Marlies gerührt die Hand. »Danke, danke, dass Sie uns unterstützen. Sie haben Sinn für das Schöne. Aber die da oben! Wissen Sie, meine Frau und ich, wir sind oft in unserem langen Leben mit dem Zug gefahren, und wenn man dann zurückkommt und man sieht die Stadt vor sich liegen … wie eine Frau!«
    Lola wandte sich ab. Empfindlich gegen Feldherrenrhetorik. Das gefiel mir.
    »Oben bleiben! Oben bleiben!«, rief die Menge. Vu vuzelas tröteten. Trillerpfeifen trillerten. »Wir sind das Volk!«
    Marlies Schrader lächelte viel.
    Ich nahm Lola bei der Hand. Panik machte mir den Hals steif. Ich hatte mich mit meiner Überwachungstechnik ausgerüstet, aber die war eben erst hinterher klüger. Am liebsten hätte ich Lola ins dichteste Gedränge schützender Leiber gezogen, aber sie strebte zum Lastwagen, der mit zurückgeschlagener Plane das Podium für die Kundgebung bildete. Ein Mikro stand auf der Ladeflä che, wo einer vom Deeskalationsteam in gelber Signalweste herumstand. »Ich soll doch auch noch was sagen.«
    Es war eine feierliche Veranstaltung. Vor dem Bauzaun standen zwischen blauweißen Polizeisprintern in schickem militärisch sportlichem Dress die Jungs und Mädels von der BFE, der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit, mit Filmkameras und roten Käppis. Vor ihnen die Bärtigen mit grünen Buttons und grünen Fahnen, Trillerpfeifen um den Hals, Fotoapparaten in den Händen, bemüht, die jungen Beamtinnen in eine Diskussion zu verwickeln.
    Uns einte die bunte Gewissheit, dass unsere Argumen te vernünftig und zwingend waren. Wir würden Seitenflü gel und Platanen retten, wir würden mit uns selbst identisch bleiben, das alte Stuttgart zwischen Wein und Reben un term Fernsehturm. Wir würden den Aushub des Milliardengrabs verhindern. »Wir sind das Volk!«
    Es ging um die 1789 ohne uns und 1848 mit uns erkämpfte Demokratie. Wir waren außerparlamentarische Opposition, Menschenkette gegen den NATO-Doppelbeschluss, Greenpeace, Robin Wood und die friedliche Revolution

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