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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Geschrei wurde schrill. Ich sah Polizisten vorrücken, packte Lola fest an der Hand und rannte los, am Bauzaun entlang, wo einst die Taxis ihre Spur gegen Kurzparker verteidigt hatten, hinein ins hohe Nordtor des Bahnhofs.
    Die Ruhe Reisender mit Ziel und Rollkoffern nahm uns auf.
    Lola zitterte. »Das galt doch nicht mir! Ich habe doch damit gar nichts zu tun! Ich kannte Durs Ursprung vorher gar nicht! Was will der denn von mir?«
    »Komm!«, sagte ich.
    »Wohin?«
    Laut Anzeigetafel stand der ICE nach München gerade abfahrbereit auf Gleis 16. »Schnell!«
    Wir rannten in Schlangenlinien durch Reisende und Wartende die ganze lange Halle entlang von Gleis 1 bis Gleis 16 und enterten den ICE, eine Sekunde bevor die Türen zugingen. Der Zug rollte, nahm Fahrt auf und verließ den guten alten Kopfbahnhof. Eigentlich hatte ich mit Lola ein Abteil suchen wollen, denn wenn da jemand auf uns schießen wollte, hätte er sich an der Tür zeigen müssen, entschied mich dann aber für die ziemlich leere erste Klasse, wo wir an der Kopfwand des Wagens zwei Sitzplätze fanden und Überblick über den ganzen Raum hatten.
    Wir keuchten erst einmal nur.
    »Hast du Geld?«, fragte Lola. »Ich habe nämlich keins.«
    Der einsame Würfel der neuen Stadtbibliothek glitt an uns vorbei. Er stand verloren auf dem noch unbebauten Gelände des einstigen Güterbahnhofs hinter der Landesbank. Irgendwann einmal würde ein nagelneuer Stadtteil die Bücherei umgeben. Doch noch war nix g’schwätzt. Wer würde, bis es so weit war, den weiten Weg dort hinaus zu den Büchern finden? Als ob Bücher in Zeiten des Internets erlaufen werden müssten.
    Auf der anderen Zugseite nahm der Stadtpark Fahrt auf und entschwand. Wir fuhren am Neckar entlang.
    Ich rief Christoph Weininger an. Er war zu Hause bei Kind und Frau und nicht erfreut. »Und was erwartest du jetzt von mir? Dass ich die Soko zusammentrommle, nur weil vielleicht ein Schuss gefallen ist? Oder aber ganz was anderes die Stange getroffen hat. Wir haben Feierabend, weißt du das!«
    »Kannst du nicht die Kollegen am Bahnhof anrufen? Die müssten inzwischen festgestellt haben, ob eine Kugel im Lasterboden steckt oder nicht. Außerdem sollten die wissen, wo Lola und ich sind.«
    »Ich habe keine Ahnung, welche Kollegen jetzt draußen sind, Lisa. Das sind die von der andern Truppe, die Uniformierten.«
    »Okay, okay!« Wir einigten uns darauf, dass er versuchen würde, irgendwen Zuständiges zu erreichen. Dann rief ich Sally an, damit sie sich um Cipión kümmerte. »Und du«, sagte ich zu Lola, »rufst deine Eltern an. Sag ihnen, dass du in Ordnung bist und wir sicher in einem Zug sitzen, aber nicht, in welchem.«
    Anschließend klärten wir, was wir dabeihatten. Lolas Postman-Tasche enthielt beispielsweise das Aufladegerät für ihr iPhone, Slipeinlagen, Tampons, Schminkset, einen Seidenschal, ein Notizbuch und einen Band Theaterstü cke von Max Frisch. Ich war ebenfalls mit einem Aufladegerät ausgestattet, mit dem Minilaptop, auf den ich sogleich die Filme von den Chipkarten aus meinen Kameras im Kugelschreiber, der Uhr und im Rückband meiner Schultertasche zu speichern begann, und mit einem Taschen messer, Feuerzug, Zigaretten und ein paar Hundekrä ckern. Mit dieser Ausrüstung waren wir einer Nacht im Hotel gewachsen.
    »Was hast du vorhin eigentlich gemeint damit«, erkundigte ich mich, »dass du damit nichts zu tun hättest und Durs Ursprung vorher gar nicht gekannt hättest?«
    Lola wandte den Kopf von den im Abendlicht vorbeiziehenden Weinbergen ab. »Ach, ich weiß nicht. Der Hezel …«
    »Der Verlagschef von Yggdrasil?«
    »… hat mich vor Durs Ursprung quasi gewarnt. Der hätte es nicht so mit den Autorinnen, er fände, die könnten ganz gute Krimis und Liebesromane schreiben, aber zur ernsthaften Arbeit am Wort fehle ihnen das Abstraktionsvermögen und der intellektuelle Biss. Wenn er dann mal eine junge Autorin fördert – Betonung auf jung –, dann lasse er sich das bezahlen, vorher! Er sei halt ein rechter Schürzenjäger … schönes Wort! Klingt so bäuerlich. Hezel erzählte irgendwas von Problemen, die er immer wieder gehabt habe. Gehörnte Ehemänner hätten ihm Morddrohungen geschickt, er sei auch mal zusammengeschlagen worden. So ganz habe ich es nicht verstanden. Und von mir hat er nichts gewollt.«
    Was hatte Oma Scheible mir da kürzlich erst im Treppenhaus erzählt? Sie kenne den Durs, da sei er noch ein Dreikäsehoch gewesen – auch ein schönes Wort –, dann

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