Maler und Mädchen - Maler und Mädchen
Indischen Ozean bereits bezahlt. Sie hatte sogar schon wieder das Gebäude verlassen, was das Mädchen, erschrocken auffahrend, auch feststellte.
O allmächtiger Jesus, wo war sie hin, so schnell?!
Elsje rannte nach unten, schaute in beiden Richtungen die Straße entlang, während sie Jacke und Tuch fester um sich zog. Der Tag hatte mit einem tintengrünen Himmel angefangen,regenschwer. Jetzt war noch Wind von See her hinzugekommen. Da sah sie ihre Schwester eilig um die Ecke beim Spui biegen.
Seufzer vor Glück.
Und nichts wie hinterher.
Die Verfolgung hat sie den ganzen weiteren Tag über in Beschlag genommen. Jemandem zu folgen ist schön. Man hat ein unmittelbares Ziel im Leben. Schnell laufend versuchte das Mädchen, den Abstand zwischen sich und der breitschultrigen Frau mit dem spitzen weißen Häubchen zu verringern, sie rief auch, doch die Frau drückte gerade in dem Moment die Hand gegen eine Tür, die sofort nachgab, und verschwand. Und auch Elsje verschwand, fünf Minuten später, in einem von der Welt abgeschiedenen Innenhof mit hohen, totenstillen Häusern und zwei kleinen Kirchen. In einer davon, verboten, katholisch, außen in nichts von den Wohnhäusern zu unterscheiden, war die Witwe dabei, auf Knien für die Seelenruhe des Zinngießers zu beten. Während Elsje, auf dem Gras neben der Sonnenuhr, nicht gleich wußte, was sie jetzt tun sollte.
Anwandlung von Starrköpfigkeit. Selbstbehexung, insgeheim vielleicht schon von Anfang an geahnt. Während sie auf die Spitzen ihrer im Gras auf und ab wippenden Stiefelchen starrte, wartete sie brav auf ihre Schwester. Sie war nicht mehr allein in der Stadt. Sie ging nicht mehr unter in der Masse der Amsterdamer Bürger. Sie hatte hier ihren Platz. Nachdem sie die Frau durch eine Seitentür wieder hatte auftauchen sehen, folgte sie ihr durch einen kleinen Tunnel zum Singel, hatte aber schon nicht mehr vor, sie noch einmal zu rufen.
Das Wetter war inzwischen wirklich mistig, ein feiner Regen,der ihr von einem gleichmäßigen Wind ins Gesicht gesprüht wurde. Brücken, Grachten, Gassen. Bei einer Bäckerei erneut ein kleiner Aufenthalt, bei einem Gemüsestand wieder. Halb ausgehungert oder nicht, Elsje findet es wunderbar, dem Schemen zu folgen, der sie schon ihr ganzes Mädchenleben lang beschützt und en passant alles vollkommen durcheinandergebracht hat. Erste Liebe, Idylle zwischen einem Dummerchen und einer großen Stiefschwester, Liebesschmerz, Unverständnis, Schuld. Schuld ist etwas, was man hat, unabhängig von dem, was man getan hat oder was man empfindet, ist sie da, aus eigener Kraft, und das weiß man … Pferde und Karren machten gewaltigen Krach auf dem Kopfsteinpflaster. Bei diesem Wetter will man zu Hause sein. Schreiende Fuhrleute sind dann durchaus bereit, einen Fußgänger ein Stück weit mitzunehmen. An einem bestimmten Punkt ihres Weges in den Stadtteil Jordaan war die Frau, die merkte, daß man ihr folgte, neugierig geworden. Sie sprang vom Karren hinunter, sah das Mädchen von einem dahinter fahrenden Karren springen und wartete.
»Hör mal …« begann sie und sah dann, wie sich ein graues, leicht flehendes Augenpaar mit einem sehr dunklen Schleier überzog.
So standen sie sich kurze Zeit gegenüber. Ein eigenartiger Moment. Oder vielleicht nicht sosehr eigenartig als vielmehr herzzerreißend. Die Witwe, die den Mann ihres Lebens verloren hatte. Das Mädchen, das mehr als einmal von der schnellen, heißen Pest hatte reden hören, sie aber keine Sekunde lang mit der mächtigen Frauengestalt ihrer Schwester in Verbindung gebracht hatte. Und dann plötzlich, einen Schritt vor ihr, ein Mensch, so anonym, so unbekannt, daß es einfach abstoßend war.
Die beiden betrachteten einander mit naßgeregneten, suchenden Gesichtern, ein paar Sekunden lang in Erschütterung verbunden.
»Wo willst du hin?«
Elsje wandte den Kopf ab. Sie ließ ein paar Augenblicke verstreichen, um nachzudenken. Dann sagte sie: »Zum Dam.«
Die Witwe lachte kurz auf. »Genau die andere Richtung!« sagte sie, insgeheim vermutend, daß das Kind das schon wußte.
Worauf eine Wegbeschreibung folgte, vielleicht etwas zu umständlich, die Elsje sich genau anhörte. Dennoch hat sie natürlich die Hälfte nicht verstanden.
Der Regen hörte im Laufe des Nachmittags auf, doch die Bewölkung blieb wie ein Schwamm über der Stadt hängen. Ihren weiteren Streifzug muß das Mädchen in dem grauen Licht als sehr deprimierend empfunden haben. Auf jeden Fall als sie, wieder
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