Maler und Mädchen - Maler und Mädchen
zweistöckiges Steingebäude, dessen untere Etage aus einem von Galerien umgebenen Innenhof besteht. Als Elsje sich dem Konsumentenpalast näherte, sah sie gerade Sarah-Dina hineingehen, ein spitzes weißes Häubchen über dem Haarknoten.
22
Das Beil, noch immer
Jetzt sind erst wieder das Schlafhaus und die Schlaffrau dran. Die Ereignisse folgen aufeinander, meint die Kadenz der Lebensgeschichte, doch in Wirklichkeit fallen die meisten Ereignisse zusammen, wenn auch nicht unbedingt im gleichen Tempo. Während Elsje in der Kaufmannsbörse einer völlig fremden Frauensperson folgte, liefen in der Herberge die Arbeiten an einem abgesackten Vorratsverschlag im Keller nicht, wie sie sollten. Ursprünglich hatte der Mann der Schlaffrau die Sache übernommen, was natürlich immer die vorteilhafteste Regelung ist, aber – wieder so ein Fall – genau an dem Tag, als Elsje Christiaens hier eine Bleibe fand, hatte der Mann beschlossen, die Tür für immer hinter sich zuzuschlagen. Heute, nachdenklich an ihrer Nase zupfend, stand die Ehefrau da und inspizierte die Zimmermannssachen auf dem Flur, die er einfach stehen- und liegengelassen hatte. Während sie sich unter lautem Seufzen, sie war ja allein zu Hause, daranmachte, das Zeug ein bißchen zu ordnen, spazierte das dänische Mädchen zwischen Bevollmächtigten aus der ganzen Welt durch die Galerie der Kaufmannsbörse.
»Ach herrje, da ist sie ja«, sagte sie sich, als sie die breitschultrige Frau, Witwe eines Zinngießers, in der Ferne die Treppe ins erste Stockwerk hinaufgehen sah.
Aber es war kein Durchkommen. Hinten im Säulengang, halb versperrt durch eine Riesenvase mit glasgefaßten Pfauenfedern, standen drei oder vier schwarzgekleidete Herren und einer in einem violettrot gestreiften Kaftan dicht beisammen und besprachen etwas.
Also wartete sie und dachte an ihre Schwester.
Was sie wohl kaufen will? fragte sie sich.
Eine Hand schob sie ein Stück beiseite, eine andere Hand noch ein Stück weiter. Die geschäftliche Unterredung direkt vor ihrer Nase fand mit Hilfe eines Dolmetschers statt. Warum sollte sie zuhören? Sie hörte nicht zu. Der Herr im Kaftan äußerte sein Interesse an einem superschnellen Schiffstyp, der bei Wind, egal aus welcher Richtung, seinen Gegner ausmanövrieren konnte und dabei so wendig war, so verflixt behende, daß er einen von Westen her einbrechenden Feind wie ein Spuk von hinten angreifen konnte.
»Machen wir«, fing sie trotzdem auf.
Auch hier wieder die Anwesenheit eines Hundes. Das kräftige Tier versuchte verzweifelt, sich durchzuquetschen. Elsje bückte sich, um sein Fell zu kraulen. Der Mann im Kaftan ging derweil weiter die Wunschliste durch, die man ihm mitgegeben hatte. Ein Paar prächtig geschnitzte Galionsfiguren sowohl an Steuerbord wie an Backbord, sie sollten Krieger darstellen, aber auf keinen Fall Römer.
»Geht in Ordnung.«
Schließlich, so ließ der Gesandte durch den Dolmetscher übermitteln, denke er noch an Geschütze mit genügend Feuerkraft, um bei Bedarf dreimal eine komplette feindliche Besatzung aus den Wanten zu schießen.
Einer der schwarzgekleideten Männer richtete seine auffallend hellblauen Augen konzentriert auf Elsjes Gesicht.
»Alles möglich.«
Eigenartig? Eigenartig, daß ein armseliges, des Lesens und Schreibens unkundiges Mädchen sich auf einem Wandelgang befindet, auf dem hier eine Sammlung Dürers, van Dycks und Flincks für ein Mordsvermögen in sizilianische Hände übergeht und dort, drei Schritte weiter, ein osmanischer Bey eine Bestellung über acht noch vor dem Winter in den Schiffswerften des IJ fertig zu bauende Tausendtonnenkriegsfregatten aufgibt, mitsamt Bewaffnung, die garantiert von den stets zuverlässigen Gebrüdern Trip, wohnhaft am Kloveniersburgwal in dieser Stadt, pünktlich geliefert werden?
Absolut nicht, und so gab es auch niemanden, der die junge Dänin beachtete. Hier liefen genug Dienstmädchen und Knechte herum.
Zu guter Letzt gelangte sie in die obere Etage. Sie bekam den Mund nicht mehr zu. Es geschieht nur äußerst selten, daß das alltägliche Leben den Geschichten überlegen ist, und zwar nicht zu knapp, die einem mal nachts im Bett erzählt, ins Ohr geflüstert worden sind, der Urübertreibung, die Worte im Kopf hinterlassen können. Als Elsje ihren Blick endlich von der aufgetürmten Pracht, dem Luxusangebot in dem schönsten Geschäft Europas löste, wie es von Insidern genannt wurde, hatte die Witwe des Zinngießers ihre Muschel aus dem
Weitere Kostenlose Bücher