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Maler und Mädchen - Maler und Mädchen

Titel: Maler und Mädchen - Maler und Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
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abblitzen lassen und nicht den Mann, der seufzend und traurig brummend in sein Zimmer zurückgeschlurft war.
    »Undankbares Gör! Und derweil gratis unter meiner Decke schlafen!«
    Das war auf dem Gang neben dem Keller, wo die Schlaffrau sie in die Enge getrieben hatte. Weil die Zwischentür zum Vorderhaus zu war, konnte Elsje im Halbdunkel die noch immer nicht weggeräumten Bretter, ein Balkenstück und die Werkzeuge zu ihren Füßen nicht sehen, nur fühlen. Durch ein Spiel des Lichts sah sie jedoch deutlich den Mund der Frau, der für einen Moment einen Eckzahn und ein paar Backenzähne entblößte. Als die ihr zufauchte, morgen, allerspätestens, müsse sie bezahlen, unterdrückte sie ihren Schrecken.
    »Mevrouw …« begann sie mit aller Würde einer Achtzehnjährigen und stockte. Unbeholfen nach ein paar holländischenWorten suchend, sagte sie ihr, morgen würde es noch nicht gehen.
    Das muß die andere rasend gemacht haben. Schreiend packte die Frau das Mädchen am Arm, das sofort dachte: Paß auf, faß mich nicht an, Schlagen ist hier nicht erlaubt! Aber die Worte dafür nicht finden konnte. Elsje riß sich los, flüchtete erst zur Haustür und dann, als ihr einfiel, die Schlaffrau könnte sie womöglich aussperren, in ihr Kämmerchen auf dem Dachboden. Mitsamt ihren Kleidern kroch sie unter die Decke.
    Zuerst zitterte sie nur, zusammengerollt, sich dem Zittern wohlig hingebend, denn es macht warm und schließt einen ganz in sich selbst ein. Danach hat sie auf der Seite liegend vor sich hin geschaut, das kleine, runde Gesicht dem Dachfenster zugekehrt, ohne Gedanken. Über die Scheibe liefen Regentropfen. Im Haus gab es kein einziges Geräusch, das den gegen das Dach blasenden Wind hätte übertönen können. Das ohnehin schon kleine Kämmerchen schrumpfte und wurde dunkel.
    Jetzt schläft sie in Geborgenheit, das Häubchen hinuntergeglitten, das blonde Haar ausgebreitet. Sie träumt und lächelt. Das ist sie, ganz sie, Elsje Christiaens, ohne auch nur eine Spur dessen, was sie morgen oder übermorgen oder noch später sein wird, morgen existiert bekanntlich nicht. Sich an ihre letzte unschuldige Nacht klammernd, schläft sie einen süßen Traumschlaf, ein hübsches Kunterbunt von Bildern aus der Wirklichkeit und aus der fiktiven Welt von demnächst. Wenn man so tief schläft, hat man immer Mühe, wach zu werden.
    »Wo bin ich?« hatte sie am nächsten Morgen, noch bevor sie die Augen aufschlug, gemurmelt.
    Sie glitt aus dem Bett. Auf Zehenspitzen spähte sie aus dem Fenster nach unten und sah ein kleines Stück Straße, Anlegestege und Boote. Alles in der Geschäftigkeit des frühen Montagmorgens.
    Die Schlaffrau muß ihr unten aufgelauert haben. Als Elsje über den Flur im ersten Stock ging, sah sie das Weib. So etwas Blödes! Ihr Herz machte einen Satz. Sie hatte die Herberge ungesehen verlassen wollen. Die Wut der Schlaffrau war in diesem Moment bereits voll entfaltet. Die Frau, die ihren Mann vermißte, hatte während einer schlaflosen Nacht stundenlang mühsam ihren Zorn unterdrückt und war durchfroren aufgestanden.
    »In dieser Welt zahlt jeder für sich selbst! Jeder, verstehst du Holländisch oder nicht?«
    Elsje und die Schlaffrau standen sich gegenüber, in dem Gang zum Keller, dessen Tür wegen der Reparaturarbeiten nicht verschlossen war. Als das Mädchen etwas erwidern wollte, wurde die Schlaffrau so böse, daß sie in ihrem eigenen Haus auf den Boden spuckte. Neben der Kellertür stand ein Besen, einsatzbereit. Elsje, die das begriff, wich zurück, doch viel Platz war da nicht. Eine Minute später sah es so aus, als würde es – was sehr gut möglich gewesen wäre – beim folgenden bleiben: der Schlaffrau, die die Kontrolle verloren hatte, Elsje, die geschlagen worden war. Doch das Mädchen blickte von dem Baukram auf dem Boden in das Gesicht, dessen Haut um Nase und Augen dicke Falten schlug und das sie noch immer keuchend, rot vor Genugtuung anstarrte. Danach wandte sie den Blick erneut zu dem Handwerkszeug. Auf einem Stuhl mit geflochtenem Schilfsitz lag ein Beil.
    Die Schlaffrau folgte ihrem Blick. Keine von beiden sagteetwas. Aufmerksam blickten sie mit gebeugten Köpfen auf den Gebrauchsgegenstand mit dem geschliffenen eisernen Blatt und dem fettigen braunen Griff.
    Bis das Mädchen seufzte.
    In der Sekunde, bevor man etwas Entsetzliches tut, ist man oft völlig ruhig. Als ob das, was gleich geschehen wird, bereits hinter einem läge.

23
Die schöne und gewinnbringende Reue
    Noch

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