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Maler und Mädchen - Maler und Mädchen

Titel: Maler und Mädchen - Maler und Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
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eine Viertelstunde. Die Menge, die das wußte, wartete ohne Ungeduld. Man stand Schulter an Schulter. Nicht nur das Grüppchen Sloterdijker, die gesamte Schar unter der Galerie beim Gerichtssaal war unerschütterlich, dumm drückend wie Vieh zurückgewichen, bis sie die Ostfassade des Rathauses wieder vor sich hatten. Eine kleine Gruppe Schützen half. Zusammenrücken, Leute! Das war normal. Daß alle schauen wollten, verstand jeder. Während hinten die Kinder auf die Schultern ihrer Väter gehoben wurden, setzte man im Rathaus für die Prozedur in zweierlei Absicht eine gute Viertelstunde an.
    Das kriminelle Mädchen, als Mensch bereits tot, erhielt noch ein mal die Gelegenheit, bei Gott an der Rettung ihrer Seele zu arbeiten. Die Stadt Amsterdam, voll der Tugend und Redlichkeit, hoffte auf einen schönen Abschluß einer mustergültigen Hinrichtung.
    Währenddessen wurde draußen auf dem Schafott die Zeit für ein paar leichte Auspeitschungen genutzt. Ein Heide, so ein umherziehender Landstreicher, bekam das glühende Eisen in die Schulter gedrückt und wurde, nachdem er fürchterlich gebrüllt hatte, für fünf Jahre aus dem Land gejagt. Ein Dieb, der hinter einem der Knechte des verspäteten Scharfrichters die Leiter hinaufkletterte, gab seinem Impulsnach, auf halbem Wege schnell anzuhalten, eine lange Nase in Richtung des Hinterns des Knechts zu machen und dem Publikum grinsend die Zunge herauszustrecken. Oben wurde er ausgepeitscht zu acht Stuiver pro Schlag.
    Das alles verfolgte man lediglich mit mäßigem Interesse. Die tiefe, stille, ernste Freude auf dem Damplatz war auf etwas Schlimmeres, Besseres gerichtet, so ungefähr auf das Beste des Schlimmen, das einem Menschen, und dazu einem Mädchen, passieren konnte. Wie wäre es wohl, wenn sie das mit dir täten?
    Elsje Christiaens mußte derweil aus dem Gerichtssaal nach oben gebracht werden. Der Gefängniswärter und sein Sohn hatten sie erneut an den Oberarmen gepackt.
    »Jetzt gehen wir die Treppe hinauf«, sagte Simon leise, überflüssigerweise, an ihrem Ohr. Die drei brauchten auf nichts anderes zu achten, als in geziemendem Abstand, wie das Reglement es verlangte, den Herren des Gerichts zu folgen.
    »Jetzt nach rechts.«
    Der Junge, der seinen Dienst als Gefängnisknecht erst seit kurzem versah, hatte einen merkwürdigen Ausdruck in seinem Blick. Er und das Mädchen hatten einen Abend und einen halben Vormittag miteinander verbracht. Es kostete ihn keinerlei Mühe, sich genau an ihre kleinen, molligen zugreifenden Hände zu erinnern, ihr zu ihm aufblickendes Gesicht. – »Bin ich dran?« »Ja, du.«
    Elsje sah dumpf vor sich hin. Sie schien nichts von der bedrückten Stimme an ihrem Ohr und der zitternden Hand an ihrem Arm zu merken.
    Man braucht auf dem Weg in den Justizraum nur ein kleines Stück durch den Bürgersaal zu gehen. Es ist fast unmöglich,sogar in diesem einen Moment dort oben an der Treppe, die Augen vor dem blendenden Eindruck von Gold, Blau und Kristall zu verschließen, der am hellichten Tag von der Sonne aus zwei Reihen in der Höhe verschwindender Fenster zusätzlich noch einen gewaltigen Paukenschlag bekommt. Dennoch war zu erkennen, daß das Mädchen nichts davon wahrnahm. Sie blinzelte nicht einmal.
    An der Tür zum Justizraum versuchte der Junge ihr die Hand zu drücken. Doch ihr Arm hing herab, als wäre bereits alles Leben aus ihm gewichen.
    »Jetzt hier rein …«
    Sie trat über die Schwelle.
    In dem Raum hing ein leicht brenzliger Geruch, möglicherweise von dem Feuer im Kamin. Der Pfarrer, derselbe, der ihr in der letzten Nacht Gesellschaft geleistet hatte, stand plötzlich vor ihr.
    »Komm«, sagte er einfach. Er reichte ihr die Hand und lächelte sogar.
    Es dauerte etwas, bis das Kind des Todes auch nur das Geringste von der neuen Situation begriff, begreifen konnte. Fünfzehn oder sechzehn Männer, aufrecht im Kreis auf dem Boden kniend, wandten ihr das Gesicht zu (Perücken, weite schwarze Kleidung, Blutschals). Die beiden Kissen, die der Tür nach draußen zum Schafott am nächsten lagen, waren noch frei. Es schien, als ob die imposanten Kerle, der Schultheiß, neun Schöffen, drei Bürgermeister, der Sekretär, ein Bote, eine Gunst von ihr verlangten. Ihre roten Gesichter blickten ihr hoffnungsvoll entgegen.
    »Ja, hier.«
    Ein kleiner Schubs.
    So etwas merkt man, wie auch immer: die von Gott bezogeneAuffassung, wonach alle Menschen im tiefsten Wesen gleich sind. Elsje wurde ohne Ansehen der Person in den Kreis

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