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Maler und Mädchen - Maler und Mädchen

Titel: Maler und Mädchen - Maler und Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
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selbst tut das auch. Je genauer man hinschaut, um so mehr sieht man. Am Ende dieser ersten Woche hatte sie so ununterbrochen Ausschau nach ihrer Schwester gehalten, so zwanghaft und hoffnungsvoll, daß der Moment kam, da es fast kein Frauengesicht gab, das sie nicht, aus der Ferne, ganz kurz aufatmen ließ. Das Merkwürdige war, daß sie gleichzeitig den Glauben zu verlieren begann, je noch tatsächlichgemeinsam mit ihrer Schwester ein, sagen wir mal: Anisbrötchen mit Zuckerglasur zu essen.
     
    Sie klapperte die Wirtshäuser ab, lief in Kirchen hinein, betete, schaute, fragte und ging in die Häfen, um Arbeit zu suchen, vor allem aber, um sich umzusehen und auch da wieder zu fragen.
    »Sarah-Dina?«
    »Ja, ja, Sarah-Dina, meine Schwester.«
    Am Abend des siebten Tages ihres Aufenthalts in der Herberge klopfte die Schlaffrau ihr auf den Arm. Elsje stand, an einen Treppenpfosten gelehnt, gebückt da, um sich ihre Stiefelchen auszuziehen. Die Schlaffrau, die gerade herunterkam, war kurz stehengeblieben, um ihr etwas mitzuteilen. Elsje sah auf und grüßte. Die Schlaffrau konnte den Atem des Mädchens riechen, von Knoblauch wird man nicht dicker, aber er nimmt doch für eine Weile das Hungergefühl.
    »Hör zu, Mädchen …«
    »Ja?« sagte Elsje fügsam.
    »Morgen fängt eine neue Woche an. Nicht vergessen, hörst du?«
    »Nein«, sagte Elsje. »Bestimmt nicht.«
    Die Frau ging weiter, drehte sich aber auf der Schwelle zum Vorderhaus noch einmal kurz um, um ihren Blick über den Körper des Mädchens gleiten zu lassen.
    Die Mahnung kam erst drei Tage später, also keineswegs unbillig. Die Schlaffrau, die Elsje hatte kommen sehen, hatte sich an diesem Nachmittag die Mühe gemacht, auf den Dachboden hinaufzusteigen. Dort fand eine kleine Unterredung statt über das Bezahlen und über die schändliche Untugend des Nichtbezahlens. Dabei keine Spur von Feindseligkeit,weder bei der Schlaffrau noch bei dem Mädchen, das lediglich spürte, daß ihre Wangen zu glühen begannen.
    Zum Schluß: »Also dann stunden Sie mir nicht mehr?«
    Sie hatte verstanden.
    Elsje schob ihr Schultertuch auf die Arme hinunter. Wenn die Sonne schien, wurde es schnell warm auf dem Dachboden. Ihre jungen Finger, noch Lichtjahre entfernt von irgendeiner dunklen Grenze, einem Endpunkt, nie gesichtet, aber, zum Teufel, trotzdem präsent, pflückten nervös am Stoff.
    Kurz darauf ließ die Schlaffrau sie allein. Und es kam der Moment der zur Seite geschobenen Gardine, ihr Blick in das Kämmerchen und den Sex. Es dauerte einen Augenblick, bevor sie in dem Gesicht auf der anderen Seite der Gußglasscheibe das ihrer freundlichen Nachbarin von gegenüber, Katerina, erkannte.
    Elsje Christiaens ging mit einer Miene, von der nichts abzulesen war, nach unten, engelsgleich, gewissermaßen unbelastet von allem. Ein Mann, der ihr auf der Treppe begegnete, fragte sich unbewußt, was alle Männer sich überall und zu allen Zeiten gefragt haben und fragen werden: Woran denkt so ein Mädchen bloß? Vermutlich werden sie nie wissen, daß Mädchen neunzig Prozent ihrer Zeit an praktische, alltägliche Dinge denken. Sie ging zur Tür hinaus auf die Straße, wo es zu dieser Stunde noch sehr belebt war.
    Jetzt muß ich doch wirklich rasch eine Anstellung suchen.
    Das Schicksal war ihr gleich am nächsten Morgen außerordentlich wohlgesinnt. Im Kaffee- und Kakaohaus Zum strahlenden Türken stand eine Vermittlerin für Hausangestellte,die gleichsam Ausschau nach ihr zu halten schien. Es handelte sich um normale Arbeit, abwaschen, Flure aufwischen, Öfen anzünden.
    »Hast du ein Zeugnis?«
    Kopfschütteln.
    »Ach, was macht das schon.«
    Die Frau musterte ihre Kleidung.
    »Zieh ein Paar saubere Ärmel über und geh dich vorstellen, man wartet auf dich, in dem Haus ist gerade wieder was Kleines angekommen.«
    Elsje bekam Anweisungen, wie sie zu gehen hatte.
    »Kennst du die Kaufmannsbörse? Ja? Gut.« Da gegenüber sollte sie nach rechts in die Gasse einbiegen und dann die Kalverstraat überqueren, es war am Nieuwezijds Voorburgwal.
    »Du bekommst einen Vertrag. Bis Sankt Michael, das heißt bis zum neunundzwanzigsten September, können sie dich nicht wegschicken.«
    Sie prägte sich die Adresse ein, nickte dankbar und drehte sich um.
    »Wart mal«, rief ihr die Vermittlerin nach. Und, mit einem Lachen über dem flachen, steif abstehenden Kragen: »Laß dich nicht schlagen. Das ist hier nicht erlaubt!«
    Die Kaufmannsbörse ist ein auf dem Wasser des Rokin schwimmendes

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