Maler und Mädchen - Maler und Mädchen
nicht der Tod, das weißt du, sondern Gott, der über dich kommt. Weine, bete, versuch das Vaterunser zu sprechen. Sag, daß du für die Strafe dankbar bist, die du doppelt und dreifach verdient hast, aber erspar dir die zusätzliche Buße eines Todes ohne Vergebung,eines Todes als Tier. Unter den Männern im Raum gab es etliche, die sich fragten, wie derlei überhaupt vor sich ging, bei Frauen. Niemand von ihnen war seinerzeit dabeigewesen, aber einige hatten von dem Mädchen gehört, das vor einundzwanzig Jahren sofort nach der Entbindung aufgestanden war und ihr Kind in die Herengracht geworfen hatte. Solche Dinge geschehen, noch immer natürlich, doch wenn jemand sie sieht, dann ist es Mord.
Elsje blickte zu Boden. Nicht schüchtern, sondern verstockt wie ein alter Esel. Ihre Kopfbewegung, eine unmißverständliche Weigerung jetzt, war kurz. Ihre Vorgängerin war auf Knien gekrochen, hatte geschluchzt und gejammert und versucht, Psalm 23 zu singen. Es muß sehr zu Herzen gehend gewesen sein, und ihre sterblichen Überreste wurden folglich nicht nach Volewijck gerudert, sondern zum Bollwerk an der Bloemgracht gebracht, wo sie außerhalb des Stadtwalls im Schlamm des neuen Friedhofs versenkt wurden.
Leises Geraune erhob sich. Und unter den Schöffen war einer, der sich wie an einem Sonntagnachmittag im November fühlte, wenn Nieselregen den Gewürznelkengeruch des Schlachtens vom Samstag eher zu verstärken als wegzusprühen scheint. Er zog den jüngsten Bürgermeister, der neben ihm stand, am Arm beiseite.
»Blaeu?«
»Bürgermeister. Der Dolmetscher steht zur Verfügung. Er befindet sich, wenn alles seine Ordnung hat, im Nebenraum oder auf der Galerie.«
Der andere nickte. Er hatte auch schon daran gedacht.
»Ruf ihn«, sagte er. »Obwohl wir uns langsam beeilen müssen.«
Tatsächlich hielt sich der Dolmetscher auf der Galerie auf. Der ehemalige Schiffskoch stand dort mit ein paar anderen beim Gebet nicht willkommenen Amtspersonen, dem Gefängniswärter, dem roten Lockenkopf Simon und dem Scharfrichter Chris Jansz. Unter der endlos großen, sich im Dunkel verlierenden Darstellung einer halbnackten Riesin, die eine im Verhältnis winzig kleine Waage zu den Wolken emporhielt, standen sie und ließen eine Pfeife mit Sumatratabak kreisen. Jansz, Meister aller Grausamkeiten, war froh über die Ablenkung, den anderen sein Malheur auf dem Haarlemmerweg erzählen zu können. Sein Wagen hatte auf dem Weg hierher ein Rad verloren.
»Ganz ab?« fragten die anderen.
»Ja, auf einen Schlag. Wir hingen sofort auf halb acht und sind so noch ein ganzes Ende weitergeschlittert.«
Chris Jansz hatte die Nervosität vor seinem Auftreten nie überwinden können. Das war verständlich. Das Publikum haßte ihn. Ihn, nicht seine vom Gesetz geforderte Tat. Mit dem von vornherein skeptischen Blick des Kenners, eines sehr viel ungnädigeren Kenners als bei einem Stierkampf oder Fußballspiel kommender Zeiten, würde man in Kürze seine Handlungen verfolgen. Jetzt packt er die Kleine am Kopf, jetzt drückt er sie an den Pfahl. Beim geringsten Mißfallen würde er mit Geschimpfe, Gejohle, verfaulten Früchten rechnen können. Die Leute haßten seine Hände, nicht die rechtmäßige Handlung an sich. Den Leuten waren die Hände, der Blick, die Schultern, die geschäftigen Beine des Henkers einfach zuwider – nicht seine Bewegungen an sich.
»Und eine Schweinerei war das, ein Matsch, nach dem ganzen Regen der letzten Woche!« sagte er.
Aus dem Augenwinkel sah er Blaeu, den er gut kannte,aus dem Justizraum kommen. Sein Blick verdüsterte sich. Er war sehr müde. Henkersarbeit ist schwer, und sie waren in letzter Zeit hoffnungslos unterbesetzt. Dank der phantastischen Hochkonjunktur, die zur Zeit in den Städten herrschte, konnten die Leute andere Arbeit finden, und sogar in Familien, in denen das Handwerk seit jeher vom Vater auf den Sohn, vom Onkel auf den Neffen übergegangen war, entschieden sich die jungen Leute heutzutage lieber für die See.
Chris Jansz sah, daß er noch warten mußte, Blaeu war lediglich gekommen, um den Dolmetscher zu holen. Er streckte die Hand aus, Simon gab ihm die Pfeife. Während er den Rauch inhalierte, richtete er den Blick nach oben, sah sich die Darstellung an und dachte kurz daran, was er in dem ärgerlichen Konflikt sagen würde, den er an seinem Standort, Haarlem, gerade mit den Wundärzten ausfocht. Die Gilde erhob Einspruch dagegen, daß er die Heilkunst praktizierte. So, und was war dagegen
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