Malerische Morde
war, die ansonsten ringsum das Ufer säumten. Womöglich war dies der Platz, an dem der Maler seinen Ausblick auf den See skizziert hatte. Das Mädchen? Was hatte das Mädchen in aller Herrgottsfrühe mit ihm hier gewollt? Sollte sie mit aufs Bild? Am Ufer sitzend? Stehend? Den Blick in die Ferne gerichtet? Herbie sprang zurück auf den Weg und studierte das Bild, das sich ihm bot.
»Ich bin kein Künstler, aber so könnte es gewesen sein. Demnach müsste der Mann ungefähr hier gestanden haben …« Er trat auf der Stelle und blickte auf den ausgetretenen Weg. »… und das Mädchen wäre da ans Ufer gekommen.«
Julius betrachtete stirnrunzelnd, wie sein Freund hin-und herhuschte, um die Szenerie zu erfassen.
Du siehst aus wie der letzte Übriggebliebene einer drittklassigen Laienspielschar
.
Herbie setzte vorsichtig Schritt vor Schritt. Das Ufer war rutschig. Die Polizei hatte im Fortgang ihrer Untersuchungen alles zertrampelt. Wenn erst einmal der akribische Teil der Spurensuche beendet war, brauchte man keine Rücksicht mehr auf Fußabdrücke oder geknickte Halme zu nehmen.
»Sicher, sicher«, murmelte Herbie und stemmte die Hände in die Hüften. »Sie haben hier alles durchkämmt. Da ist nichts übrig. Und doch möchte ich mich mal in die Lage des Mädchens versetzen. Jetzt stell dir mal vor, es ist sieben Uhr in der Früh …«
Er schlang sich die Arme um den Oberkörper und begann zu assoziieren: »Kalt … nackt … nass … beobachtet … Stille … Enten …« Er öffnete die Augen und wandte sich zu Julius um. »Sind Enten morgens um sieben schon wach?«
Julius zuckte mit den Schultern.
Ich weiß wenig über Enten. Chinesisch süß-sauer sind sie mir am liebsten
.
»Und dann ist da dieser Mann. Steht da am Ufer und malt. Was hat er gemalt? Nur eine Skizze? Eine Kohlezeichnung? Oder war das schon in Öl? Ufer, Maar … mit Mädchen? Oder war sie nur zum Schwimmen mitgekommen?« Herbie wandte sich wieder dem Maar zu. »Mann, Mann, wir wissen ja eigentlich überhaupt nichts.« Er warf die Arme in die Luft.
Genau das hätte er besser nicht getan.
Sein Körper begann zu schwanken. Seine Füße verloren den Halt auf dem glitschigen Untergrund, und je mehr er versuchte, mit dem Oberkörper das Gleichgewicht wiederherzustellen, um so mehr wackelte er mit den Beinen. Schließlich zog es ihn nach vorne, und dem ungebremsten Sturz in den See entging er nur knapp, indem er mutig ins Uferwasser sprang und sich bis zu den Knien im aufgewirbelten Maarwasser wiederfand.
Im Hintergrund hörte er Julius kräftig applaudieren.
Nur für einen Moment verharrte er in seiner Position und starrte wie gebannt auf seine Beine, die knieabwärts von jetzt schlammiger Brühe umspült wurden.
»Scheiße«, zischte er, wandte sich um und versuchte, das Ufer zu besteigen. Mehr rutschend als gehend erreichte er schließlich trockenen Boden.
»Sag jetzt nichts. Halt jetzt um Himmels Willen deine Klappe, hörst du?«, murmelte er wütend, während er an seinen Hosenbeinen herumwrang.
In diesem Moment ertönte eine fremde Stimme. »Entschuldigen Sie, ich wollte nur schauen, ob Ihnen auch nichts passiert ist.«
Als er aufsah, blickte er in das ratlose Gesicht einer älteren Dame. Sie hatte silberweißes, hochgestecktes Haar und eine kleine, randlose Brille, die sie verlegen zurechtrückte.
»Oh, ich habe natürlich nicht Sie gemeint …«, stammelte Herbie.
Hat man dir das in München beigebracht? Alte Damen zu beschimpfen? Ist das bajuwarisches comme-il-faut?
»… ich … ich … Manchmal rede ich ein bisschen mit mir selbst.«
Die Frau blickte auf die Stelle des Ufers, an der Herbie aus den Fluten rausgeklettert war. »Haben Sie etwas Bestimmtes gesucht? Halten Sie mich bitte nicht für neugierig, aber ich frage mich, warum Sie gerade hier ins Wasser gegangen sind. Haben Sie etwas verloren?«
»Eigentlich geschah das eher unfreiwillig.« Herbie humpelte zu einer Bank, die ein paar Schritte weiter am Weg stand, nahm Platz und entledigte sich ächzend seiner Schuhe. »Ich wollte nur etwas nachschauen. Sie werden vielleicht davon gehört haben. Hier sind zwei Menschen ums Leben gekommen.«
»Ich habe davon gehört.«
Herbie zerrte sich den linken nassen Socken von den Füßen. Er flitschte durch die Luft, und ein feiner Tröpfchenregen ergoss sich auf den hellen Mantel der Frau. Als Herbie entsetzt aufspringen und sich entschuldigen wollte, rief sie beschwichtigend: »Oh, nein, nein, keine Sorge. Das trocknet rasch
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