Malerische Morde
Stille.
Ingrid Delamot sah ihn verunsichert an. »Wie bitte?«
Julius lehnte sich an einen Baum und kicherte haltlos.
Herbie spürte, wie ihm das Blut in den Kopf stieg. »Ihr Mann … Ihr früherer Mann hat … Er hat hier gemalt und das junge Mädchen war nackt. Hat er oft … ich meine … hat er schon früher …«
Die alte Dame lächelte milde und fischte seine Socken von der Holzbank. Mit dem geübten Griff einer Hausfrau wrang sie das Wasser heraus. »Hermann hat hauptsächlich Landschaften gemalt. Die Eifel war ihm ein unerschöpflicher Quell der Inspiration.« Sie kicherte plötzlich. »Das klingt, als wäre es bereits aus seinem Nachruf. Ab und an malte er Portraits. Er war eigentlich kein richtig guter Portraitist. Je älter er wurde, desto öfter fand er Gefallen daran, die Landschaft mit dem ein oder anderen Modell anzureichern. Ja, Sie haben Recht, das waren fast immer Aktmodelle. Und nach dem, was ich so gehört habe, habe ich den Eindruck gewonnen, dass diese Modelle immer jünger wurden. Wer weiß, vielleicht war ihm seine Debbie mittlerweile ja auch schon zu alt geworden.« Ein grimmiger Zug grub sich in ihr Gesicht, als sie die letzten Wassertropfen aus den Socken presste. »Debbie hat er nackt gemalt. Das weiß ich. Sie hatte einen herrlich weißen Leib. Davon hat er immer geschwärmt. Und ich habe ihm vor vielen, vielen Jahren auch Modell gestanden.«
Sie sah ihm unverwandt in die Augen und schenkte ihm einen koketten Augenaufschlag. »Nackt.«
Mit einem verwirrten Lächeln nahm er die Socken entgegen.
»Wer hat Sie beauftragt?«
»Beauftragt?«
»Sie sagen, Sie ermitteln. Ich frage Sie, wer Sie beauftragt hat. Ich könnte Ihnen Hinweise geben, aber ich muss wissen, wer Ihnen den Auftrag gab nachzuforschen.«
»Nun, eigentlich ermittle ich eher … sagen wir mal: in eigener Sache.«
Sie sah ihn verständnislos an. Im Hintergrund veranstalteten plötzlich ein paar Enten aus heiterem Himmel ein Mordsspektakel.
»Mein Freund ist beschuldigt worden, die beiden umgebracht zu haben. Aber er war’s nicht.«
Ingrid Delamot zögerte einen Moment und Herbie befürchtete das Schlimmste.
Grandios, mein Bester. Jetzt wird sie deine Socken wieder ins Maar werfen und das Weite suchen
.
»Sind Sie sicher, dass er es nicht getan hat?«
Herbie nickte eifrig. »Ich kenne Köbes. Er ist ein Säufer und ein lausiger Automonteur. Aber er ist kein Totschläger.«
»Bezahlt Sie jemand?«
Er guckte einen Moment dumm, schüttelte dann den Kopf.
»Ich wohne im Hotel Panorama in Daun. Besuchen Sie mich bitte dort. Morgen Nachmittag. Ich möchte Ihnen gerne einen Auftrag erteilen.« Und als Herbie noch nach Worten suchte, fügte sie hinzu: »Vielleicht entdecken wir gemeinsame Interessen.«
Ich habe immer gewusst, dass du einen Schlag bei älteren Damen hast. Seit du das Wort »nackt« ausgesprochen hast, ist sie dir hörig
.
Dann drehte sich Ingrid Delamot um und ging mit kleinen Schritten fort.
»Im Hotel?«
»Ja, ich bin sofort hierher gereist, als ich hörte, was mit Hermann geschehen ist. Ich lebe in Mannheim.«
»Wohin gehen Sie denn? Der Parkplatz liegt doch genau in der anderen Richtung.« Herbie streckte den Zeigefinger aus.
»Ich habe mein Auto da oben geparkt.« Sie wies waldeinwärts. Nur wenige Meter von der Bank entfernt führte ein Waldweg zum Kraterrand hinauf. Und jetzt fiel Herbie erst wieder ein, dass sein Auto ja das einzige auf dem Parkplatz gewesen war.
»Wenn wir früher hier waren, haben wir immer dort oben am Schlagbaum geparkt. Das ist zwar verboten, aber man ist viel näher hier am Ufer. Vermutlich hat Hermann mit seinem Wagen auch da gestanden. Er hasste es, seine Staffelei schleppen zu müssen.« Sie hielt noch einmal für einen Augenblick inne, sagte tonlos: »Bis morgen Nachmittag. So gegen vier. Wir trinken Kaffee, und ich erzähle Ihnen, was mich bedrückt«, und verschwand zwischen den Bäumen.
Hast du nicht etwas von einer betagten Exhibitionistin in München erzählt? Wer weiß, wenn es keine Blutschande wäre, würde sogar deine greise Tante auf dich abfahren
.
»Julius, verschone mich mit deinen kranken Phantasien!«
Ich BIN eine kranke Phantasie!
Sechstes Kapitel
Als Nächstes machte Herbie eine Reise durch die Supermärkte der Stadt Hillesheim.
Das Städtchen wurde an seinem Ortseingang als »Beispielstadt« angepriesen, das dereinst für seine fortschrittliche Stadtsanierung ausgezeichnet worden war. In der Tat hatte Hillesheim einen gewissen Charme.
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