Malerische Morde
Bergrücken hoch über dem Tal. Als idyllischer Malerwinkel war der kleine Ort weit über die Grenzen der Region hinaus bekannt. Und in diesem Zusammenhang hatte er am Rande auch durchaus traurige Berühmtheit erlangt: Im Dritten Reich hatte Professor Werner Peiner die Ausbildungsstätte für Monumentalmalerei aus Düsseldorf hierher verlagert, in die stille Abgeschiedenheit der Eifel. Hermann Göring war von Peiners Blut-und Boden-Malerei derart angetan, dass die Schule nach einem persönlichen Besuch das Prädikat »Reichs-Malerschule Hermann Göring« erhielt.
Herbie hielt die Zeitung in der Hand und plauderte munter drauflos, als er durch das steinerne Tor spazierte. Kein Mensch war weit und breit zu sehen. Nur ein paar holländische Touristen machten Kaffeepause auf einem Treppenabsatz.
»Hör dir das an, was hier im Kulturteil steht, Julius: ›Der Kindermord von Bethlehem‹, Peter Paul Rubens … Ist bei Sotheby’s für sage und schreibe 49,5 Millionen Englische Pfund über die Theke gegangen. Da kann man sich doch nur noch an den Kopf packen, oder?«
So wie die Holländer das gerade tun?
»Hm? Ach so. Egal. Und hier: Das teuerste Gemälde deutscher Herkunft ist das ›Selbstbildnis mit Horn‹ von Max Beckmann. Oh, Junge, Junge. 25 Millionen Euro! Das ist sogar ausgesprochen hässlich, wenn du mich fragst.«
Herbie brauchte nicht lange zu suchen, bis er das Haus gefunden hatte, das auf dem Zeitungsfoto dargestellt war. Es lag innerhalb der alten Burgmauer und reihte sich in ein schmuckes Ensemble alter Fachwerkhäuschen ein.
Auf dem Klingelschild stand kein Name, und Herbie zögerte einen Moment, ehe er auf den Knopf drückte.
Erst in diesem Augenblick wurde ihm bewusst, dass er im Begriff war, mit der Witwe eines der beiden Mordopfer zu sprechen. Er konnte hier unmöglich als Freund von Köbes auftreten, als Saufkumpan des Mannes, den sie alle für den Mörder hielten.
Und gestern? Die alte Dame am Maar? War das keine Witwe?
»Aber nicht die aktuelle. Die Witwe ersten Grades, wenn du verstehst, was ich meine. Was soll ich sie fragen? Mein Gott, Julius, was soll ich sie denn nur fragen?«
Die Tür öffnete sich wenige Augenblicke später, und Deborah Delamot stand vor ihm. Der Name klang tatsächlich wie ausgedacht. Sie war eine unglaublich schöne Frau. Ihre rote Mähne lag wie ein feuriger Wirbel um ihren Kopf, und sie hatte ein Gesicht wie aus Porzellan. Ihre Figur war nicht weniger spektakulär, und Herbie verschlug es schlichtweg den Atem. Was sollte er sie nur fragen?
Frag sie als erstes Mal, ob das da alles echt ist
.
Sie setzte die Sonnenbrille auf. Ein Zeichen der Trauer. Warum hatte sie das nicht getan, bevor sie die Tür geöffnet hatte? Hatte sie jemand anderes erwartet?
»Ja?«, fragte sie den stummen Herbie Feldmann, nachdem einige Augenblicke verstrichen waren. »Was gibt’s?« Sie wirkte nicht ungeduldig, nicht entnervt. Tatsächlich umspielte der Anflug eines Lächelns ihre Mundwinkel. Vermutlich war sie es gewohnt, dass ihr Auftreten eine solche Wirkung auf Männer hatte.
»Sie kommen von der Zeitung?«
»Wie bitte?« Herbie erinnerte sich an die zusammengerollte Tageszeitung, die unter seinem Arm klemmte. »Von der Zeitung, genau. Ich komme von der Zeitung, Frau …«
»Delamot.«
»Frau Delamot, genau. Von der Zeitung.«
Sag’s noch mal. Los, sag’s ruhig noch mal
.
»Sind Sie der Herr, mit dem ich gestern telefoniert habe?« Sie öffnete die Tür vollends und wandte sich um. Dies war die unausgesprochene Einladung einzutreten.
»Der Artikel ist sehr gut gelungen. Ich bin sehr froh.« Sie ging voran, und es wollte Herbie einfach nicht gelingen, seinen Blick von ihrem wohlgeformten Hinterteil abzuwenden. »Kommen Sie doch bitte herein. Gibt es denn noch irgendwelche Fragen?«
Das Innere des Hauses war eine weitere Überraschung: Chrom und Schwarzweiß, wohin das Auge blickte. Nach einem kurzen Gang durch einen gefliesten Flur umfing sie ein nacktes, kühles Wohnzimmer, ein Raum, in dem man vermutlich selbst im Hochsommer Frostbeulen bekam.
Sie drehte sich um und lächelte. »Das haben Sie hier nicht erwartet, oder? Ich bin nicht so eine bunte Type. Bei der Einrichtung musste ich Hermann ganz schön auf die Sprünge helfen. Er war ja eher so der Verträumte. Aber es hat nicht lange gedauert, bis er begriffen hat, dass es sich so besser leben lässt.« Sie biss sich auf die Lippen, als sie bemerkte, wie verquer ihre letzten Worte in Verbindung mit den Ereignissen
Weitere Kostenlose Bücher