Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
Vom Netzwerk:
»Mißtrauen« heraushören. Ich weiß sehr gut, wen sie meint, bleibe aber beharrlich
     stumm. Ich stelle fest, daß sie heute abend ihre Zeit braucht, um ihr Lämpchen anzuzünden. Sicher wartet sie darauf, daß ich
     sie bitte zu bleiben. Sie wird enttäuscht werden.
    Das ist sie nun und wütend obendrein.
    »Los, Momo, komm«, sagt sie kurz angebunden.
    »Lammido infrin vadammomal!« sagt Momo, den die Unterhaltung interessiert.
    Ach, der Momo hat den Moment, ungehorsam zu sein, schlecht gewählt. Die Menou nimmt ihr Öllämpchen in die linke Hand und ohrfeigt
     ihn aus Leibeskräften mit ihrer kleinen harten Rechten. Dann kehrt sie ihm den Rücken, und er folgt ihr besiegt. Wieder einmal
     frage ich mich, wie es sich dieser große Tolpatsch mit neunundvierzig Jahren noch gefallen lassen kann, von seiner winzigen
     Mutter geschlagen zu werden.
    »Nacht, Peyssou«, sagt die Menou, als sie unsere Runde verläßt. »Nacht, und schlaf gut.«
    »Du auch«, sagt Peyssou, ein wenig beschämt über diese ihm allein zugedachte Höflichkeit.
    Sie entfernt sich, in ihrem Kielwasser Momo, der die Aggressivität seiner Mutter auf mich überträgt und die Tür heftig hinter
     sich zuknallt. Morgen wird er mir schmollen, genau wie sie. Ein halbes Jahrhundert Leben hat die Nabelschnur nicht getrennt.
    »Gut«, sage ich, »die Miette. Sprechen wir von der Miette. Im Etang, als Jacquet und Thomas den Wahrwoorde begruben, hätte
     ich bequem mit Miette schlafen und dann hier ankommen und sagen können: Seht her, Miette gehört mir, sie ist meine Frau, niemand
     rührt sie an.«
    |213| Ich blicke von einem zum andern. Keinerlei Reaktion, zum mindesten dem Anschein nach.
    »Wenn ich das nicht getan habe, dann nicht, damit ein anderer es tut. Mit andern Worten, Miette soll, meiner Meinung nach,
     nicht das ausschließliche Eigentum eines einzelnen sein. Eigentum ist Miette im Grunde überhaupt nicht. Miette gehört sich
     selbst. Miette unterhält die Beziehungen, die sie möchte, mit wem und wann sie will. Seid ihr einverstanden?«
    Langes Schweigen. Niemand sagt einen Ton oder blickt mich auch nur an. Die Institution der Monogamie ist so fest in ihnen
     eingepflanzt und in ihrem Kopf mit so vielen Reflexen, Erinnerungen und Gefühlen verbunden, daß sie ein System, das die Einehe
     ausschließt, weder annehmen noch begreifen können.
    »Es gibt zwei Möglichkeiten«, sagt Thomas. »Entweder Miette wählt einen von uns unter Ausschluß aller anderen …«
    Ich unterbreche ihn.
    »Ich sage gleich, mit dieser Situation werde ich nicht einverstanden sein, selbst dann nicht, wenn ich der Nutznießer bin.
     Und wenn ein anderer der Nutznießer ist, werde ich ihm keinerlei Ausschließlichkeit zugestehen.«
    »Erlaubst du?« sagt Thomas. »Ich war noch nicht fertig.«
    »Dann sprich zu Ende, Thomas«, sage ich liebenswürdig. »Ich habe dich unterbrochen, aber ich hindere dich nicht, zu sprechen.«
    »Ist ja fein«, sagt Thomas.
    Ich lächle der Runde zu und sage kein Wort. Dieses Verfahren war mir zur Zeit des Zirkels immer gelungen, und ich stelle fest,
     daß es mir noch immer gelingt: meinen Opponenten durch meine Geduld und seine eigene Empfindlichkeit in Mißkredit zu bringen.
    »Zweite Möglichkeit«, beginnt Thomas wieder, aber man merkt, daß ich ihm seinen Elan ein wenig genommen habe. »Miette schläft
     mit allen, und das ist völlig unmoralisch.«
    »Unmoralisch?« frage ich. »Inwiefern unmoralisch?«
    »Das ist evident«, sagt Thomas.
    »Das ist keineswegs evident. Eine Pfaffenidee werde ich nicht als Evidenz anerkennen.«
    Thomas eine »Pfaffenidee« anzukreiden! Diese kleine Gemeinheit koste ich nebenbei aus. Aber dieser liebenswerte Thomas |214| nimmt in der zur Debatte stehenden Frage eine Haltung ein, die gleichermaßen Selbstsicherheit und Unreife verrät.
    »Das ist keine Pfaffenidee«, sagt Thomas in einem wütenden Ton, der ihm zu größtem Nachteil gerät. »Du wirst nicht abstreiten:
     Ein Mädchen, das mit jedermann schläft, ist eine Hure.«
    »Irrtum«, sage ich. »Eine Hure ist ein Mädchen, das für Geld mit dir schläft. Nur das Geld macht die Sache unmoralisch. Nicht
     die Zahl der Partner. Frauen, die mit jedem schlafen, kannst du überall finden. Sogar in Malejac. Und niemand verachtet sie
     deshalb.«
    Schweigen. Ein Engel geht durch den Raum. Wir alle denken an Adelaide. Abgesehen von Meyssonnier, der schon in zartestem Alter
     mit seiner Mathilde verlobt war, hat die Adelaide jedem von uns über das

Weitere Kostenlose Bücher