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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Jünglingsalter hinweggeholfen. Wir sind ihr dafür
     noch heute dankbar. Und ich bin ganz sicher, daß selbst Meyssonnier, der so tugendhaft ist, Bedauern empfindet.
    Thomas hat wohl gespürt, daß ich mich auf die Kraft gemeinsamer Erinnerungen stütze, denn er sagt nichts. Und nahezu sicher,
     jetzt gewonnenes Spiel zu haben, rede ich weiter.
    »Das ist keine Frage der Moral, sondern der Anpassung an die Verhältnisse. In Indien, Thomas, gibt es eine Kaste, in der sich
     zum Beispiel fünf Brüder zusammentun, um eine einzige Frau zu heiraten. Die Brüder und die einzige Gattin bilden eine Dauerfamilie,
     die ihre Kinder aufzieht, ohne zu fragen, von wem sie sind. Sie machen das so, weil es ihre Mittel weit übersteigen würde,
     wenn jeder von ihnen eine Frau unterhielte. Wenn sie ihrer äußersten Armut wegen diese Art von Organisation haben, so ist
     sie uns, scheint mir, durch die Notwendigkeit diktiert, da hier Miette die einzige Frau im fortpflanzungsfähigen Alter ist.«
    Schweigen. Thomas, der sich, glaube ich, geschlagen fühlt, verzichtet auf eine weitere Diskussion, und die übrigen scheinen
     zum Sprechen nicht aufgelegt zu sein. Da es trotzdem nötig ist, daß sie sich äußern, sehe ich sie fragend an.
    »Nun?« sage ich.
    »Das würde ich nicht mögen«, sagt Peyssou.
    »Was?«
    »Dein System dort unten in Indien.«
    |215| »Das ist keine Frage des Mögens, sondern eine Notwendigkeit.«
    »Trotzdem«, sagt Peyssou, »eine Frau mit mehreren teilen, ich sage nein.«
    Schweigen.
    »Ich bin seiner Meinung«, sagt Colin.
    »Ich auch«, sagt Meyssonnier.
    »Ich auch«, sagt Thomas mit einem Lächeln, das mich erbittert.
    Ich blicke ins Feuer. Ich bin überstimmt worden! Ich bin geschlagen! Seit ich mit zwölf Jahren, wenn ich so sagen darf, die
     kollegiale Leitung des Zirkels übernommen habe, ist es das erstemal. Und wenn ich auch anerkenne, daß es ein kindisches Gefühl
     von mir ist, so bin ich doch tief betrübt. Und dabei möchte ich es mir nicht anmerken lassen, sondern so, als ob nichts gewesen
     wäre, weiterreden, anknüpfen, zur Tagesordnung übergehen. Es gelingt mir nicht. Meine Kehle ist wie zugeschnürt. In meinem
     Kopf völliger Leerlauf. Ich bin nicht nur geschlagen, sondern verliere durch mein Schweigen auch noch mein Gesicht. Wer mich
     rettet, gewiß unabsichtlich, ist Thomas.
    »Na siehst du«, sagt er ohne jedes Feingefühl. »Die Monogamie trägt den Sieg davon.«
    Freilich, ich habe ihn vorhin ein wenig angerempelt. Die »Pfaffenidee« liegt ihm wohl noch im Magen.
    Die Bemerkung von Thomas wird kühl aufgenommen. Ich sehe meine Gefährten an. Sie sind rot geworden, fühlen sich unbehaglich
     und sind von meiner Niederlage mindestens ebenso niedergedrückt wie ich. Zumal nach einem Tag, wird Colin später zu mir sagen,
     an dem du so viel für uns getan hast.
    Ihre Verwirrung ist mir ein Trost.
    »Ich bin durchaus bereit«, sage ich, »eure Ansicht als Beschluß aufzufassen und mich zu beugen. Man muß dann aber richtig
     verstehen, was dieser Beschluß bedeutet. Will er besagen, daß wir Miette zwingen, sich einen einzigen Partner zu wählen und
     sich daran zu halten?«
    »Nein«, sagt Meyssonnier. »Keineswegs. Wir werden sie nicht zwingen. Doch wenn sie sich für einen einzigen Gatten entscheidet,
     wollen wir nichts tun, sie davon abzubringen.«
    Gut. Das ist klar. Und klar ist auch der Unterschied im Stil. |216| Ich habe »Partner«, er hat »Gatte« gesagt. Ich habe Lust, den Kommunisten Meyssonnier darauf aufmerksam zu machen, daß er
     eine kleinbürgerliche Auffassung von der Ehe hat. Stoisch sehe ich davon ab. Ich blicke auf die drei andern.
    »Richtig so?«
    Richtig so. Achten wir den Ehestand. Kein Ehebruch, auch nicht mit Einverständnis. Die konventionelle Moral ist nicht tot.
     In einer Gemeinschaft von sechs Männern, denen eine einzige Frau zuteil geworden ist, kann, wie ich meine, dieses ehrwürdige
     System absolut nicht funktionieren. Aber man kann nicht recht haben gegen alle. Der Standpunkt meiner Gefährten erscheint
     mir maximalistisch und unsinnig: bis ans Ende seiner Tage lieber im Zölibat zu leben, als eine Frau nicht für sich allein
     zu haben. Freilich hofft jeder, daß er der Erwählte sein wird.
    Ich schweige. Ich bin besorgt um die Zukunft. Ich habe Angst vor Frustrationserscheinungen, Eifersuchtsanfällen, vielleicht
     sogar Mordgelüsten. Und außerdem, warum sollte ich es nicht zugeben, empfinde ich ein schmerzliches Bedauern, daß ich

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