Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
Vom Netzwerk:
von fünf Kühen, einem ausgewachsenen Stier und einem Stierkalb: Prince. Doch auch Prince
     werden wir behalten, denn auf das Risiko mit einem einzigen männlichen Tier können wir uns nicht einlassen. An Pferden haben
     wir drei Stuten: Amarante, Bel Amour, deren Tochter Malice, und den Hengst Malabar. Ich rechne nicht die Schweine, deren Menge
     jetzt zu groß ist, als daß wir sie alle aufziehen könnten. Wenn ich an diese vielen Tiere denke, überkommt mich ein erwärmendes
     Gefühl der Geborgenheit, das von der Befürchtung, die Felder könnten nicht mehr willig sein, sie wie auch uns zu ernähren,
     kaum beeinträchtigt wird. Merkwürdig, wie mit dem Geld auch die falschen Bedürfnisse verschwunden sind. Wie in biblischen
     Zeiten denken wir in Begriffen von Nahrung, Land, Herde und Erhaltung des Stammes. Beispielsweise: Miette. Ich sehe sie überhaupt
     nicht auf die Art an, wie ich Birgitta betrachtet habe. Bei Birgitta trennte ich ganz selbstverständlich die Sexualität von
     ihrem Endzweck, während ich Miette nur als fruchtbar begreifen kann.
    Selbst mit zwei Fuhrwerken benötigten wir vier Tage, um den Etang zu räumen. Die Stadtmenschen beklagen sich über ihre Umzüge;
     sie wissen nicht, was man im Laufe eines Lebens in einem Bauernhof an Sachen anhäufen kann, die alle nützlich und in der Mehrzahl
     platzraubend sind. Nicht gerechnet das Vieh, auch nicht das Futter und das Brotgetreide.
    |219| Endlich, am fünften Tag, konnten wir die Bestellung des kleinen Feldes in den Rhunes wiederaufnehmen, eine Gelegenheit für
     uns, die neuen Sicherheitsvorschriften in Anwendung zu bringen. Während Jacquet pflügte, bezog abwechselnd einer von uns,
     mit dem Karabiner bewaffnet, Posten auf dem kleinen Hügel, der im Westen die Niederung der Rhunes beherrscht. Für den Fall,
     daß der Wachtposten ein oder mehrere verdächtige Individuen sähe, galt die Vorschrift, in die Luft zu feuern und sich nicht
     blicken zu lassen; Jacquet hätte dann Zeit, mit dem Pferd in die Burg zu flüchten, und wir selbst könnten uns zur Verstärkung
     mit unseren Flinten an Ort und Stelle begeben – mit der Büchse vom Wahrwoorde hatten wir jetzt drei, mit meinem Karabiner
     vier.
    Das war recht wenig. Nun erinnerte ich mich an Wahrwoordes Bogen, der sich im Gefecht auf geringere Distanz als eine so furchterregende
     und präzise Waffe erwiesen hatte. Die Theorie des Schießens, die weit mehr Feinheiten erfordert, als man auf den ersten Blick
     glauben möchte, hatte mir Birgitta beigebracht, und ich begann, auf dem Weg, der zum äußeren Burgwall führt, trotz allgemeiner
     Skepsis zu üben. Mit etwas Fleiß gelangte ich zu befriedigenden Ergebnissen und erhöhte nach und nach meine Entfernung. An
     guten Tagen gelang es mir, bei vierzig Metern einen von drei Pfeilen ins Ziel zu bringen. Das war nicht Wilhelm Tell oder
     auch nur der Wahrwoorde, doch war es besser als das, was man auf die gleiche Distanz mit einer Jagdflinte leisten konnte,
     die ihr Schrot ab fünfzig Meter schon beträchtlich streut. Erstaunt war ich auch über die Durchschlagskraft des Pfeils, der
     sich in die dicke geflochtene Zielscheibe so fest einbohrte, daß ich manchmal beide Hände brauchte, um ihn herauszuziehen.
    Angesichts solcher Resultate erwachte bei meinen Gefährten der Geist des Wettbewerbs, und das Training mit dem Bogen wurde
     zu unserem Lieblingszeitvertreib. Bald wurde ich sogar eingeholt und übertroffen von dem kleinen Colin, der bei sechzig Metern
     seine drei Pfeile regelmäßig auf die Zielscheibe brachte und allmählich sogar dem Zentrum näherte.
    Von uns fünf – von uns sechs, wenn man Jacquet mitzählte, der zum Schießen noch nicht zugelassen war –, war Colin der weitaus
     kleinste und schmächtigste. Daran waren wir so gewöhnt, daß uns seine Körpergröße zu seinem Wesen zu gehören |220| schien und daß wir ihn sogar in seiner Gegenwart den kleinen Colin nannten. Wir dachten nicht, daß ihn das kränken könnte,
     denn er hatte niemals gegen diese Benennung protestiert. Jetzt erst, da ich das maßlose Glücksgefühl in Betracht zog, das
     ihm seine Überlegenheit im Bogenschießen verschaffte, wurde mir auf einmal klar, daß er immer unter seiner schwächlichen Statur
     gelitten hatte. Der Bogen war größer als er selbst. Doch sobald er ihn in die Hand nahm – was häufig geschah, denn er übte
     mehr als irgendeiner von uns –, war er König. Mittags, nach dem Essen, sah ich ihn vor einem der beiden

Weitere Kostenlose Bücher