Malevil
artikulierte, der beinahe hätte von
hier sein können.
»Hast du noch eine andere Waffe als deine Flinte bei dir?«
»Nein.«
»Du wirst gut daran tun, wahrheitsgemäß zu antworten. Sobald du hereingekommen bist, werden wir dich durchsuchen.«
»Ich besitze ein kleines Taschenmesser, doch würde ich es nicht als Waffe bezeichnen.«
»Mit fest stehender Klinge?«
»Nein.«
»Wie heißt du?«
»Fulbert le Naud. Ich bin Geistlicher.«
Ich äußerte mich nicht über seinen Priesterstand.
»Hör zu, Fulbert. Nimm das Schloß aus deiner Flinte und steck es in deine Anzugtasche.«
Er gehorchte sofort und bemerkte beiläufig: »Ihr seid mißtrauisch.«
»Wir haben Grund dazu. Man hat uns angegriffen. Hör zu«, fuhr ich fort. »Ich werde dir öffnen. Du passierst, ohne abzusteigen,
das Tor, bleibst nach zehn Metern stehen und steigst nicht ab, bis ich es dir sage.«
»Einverstanden.«
Ich wandte mich nach oben.
»Thomas, halt weiter auf ihn angelegt.«
Thomas nickte. Ich nahm meinen Karabiner in die rechte Hand, entsicherte ihn, stieß am Tor die beiden Riegel zurück, zog den
Flügel auf und wartete. Sobald Fulbert eingeritten war, schloß ich das Tor so rasch, daß ich dem Esel einen Stoß auf die Kruppe
versetzte. Der machte einen Satz nach vorn und gleich darauf einen Seitensprung, mit dem er den Besucher beinahe aus dem Sattel
geworfen hätte. Die Pferde in der Maternité begannen zu wiehern, der Esel spitzte seine langen Ohren und fing auf seinen Beinen
ein wenig zu zittern an, als Fulbert ihn zum Stehen brachte.
»Steig ab«, sagte ich auf patois, »und reich mir dein Flintenschloß.«
|223| Er gehorchte und bewies damit, daß er Patois verstand. Ich steckte das Schloß in meine Tasche. Ich war nahezu sicher, daß
diese Vorsichtsmaßregeln im vorliegenden Fall unnötig waren, aber Mißtrauen hat mit den anderen Tugenden eines gemein: Es
ist nur unter der Bedingung wirksam, daß man keine Ausnahme zuläßt.
Thomas nahm von sich aus den grauen Esel am Zügel, um ihn in eine Box der Maternité zu führen. Ich sah, daß er einen Eimer
loshakte, um ihn zu tränken. Um auf Thomas zu warten, blieb ich stehen und wandte mich an Fulbert.
»Woher bist du?«
»Aus Cahors.«
»Du verstehst trotzdem unser Patois?«
»Ich verstehe nicht alles. Es gibt Unterschiede im Wortschatz.«
Die Frage schien ihn zu interessieren, denn er begann sofort bestimmte Wörter aus unserem und aus seinem Patois zu vergleichen.
Während er redete, und er redete sehr gut, sah ich ihn an. Er war nicht so groß von Figur, wie ich geglaubt hatte, aber er
war von guten Proportionen und einer Eleganz in der Haltung, die ihn groß erscheinen ließ. Was seine Physiognomie betrifft,
wußte ich nicht, was ich davon halten sollte.
Ich ließ ihn seine philologischen Vergleiche beenden.
»Du kommst aus Cahors?« fragte ich.
Er lächelte, und ich bemerkte, daß er ein recht verführerisches Lächeln hatte.
»Aber nein, ich komme aus La Roque. Ich befand mich in La Roque, als die Bombe fiel.«
Mit offenem Munde sah ich ihn an.
»Also gibt es Überlebende in La Roque?«
»Aber ja«, sagte er, »es gibt welche.« Mit der gleichen Ruhe fuhr er fort: »Etwa zwanzig.«
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|224| Anmerkung von Thomas
Das letzte Kapitel weist eine so augenscheinliche Lücke auf, daß ich Emmanuels Bericht unterbrechen will, um sie auszufüllen.
Ich habe vorher das nachfolgende Kapitel gelesen, um mich zu überzeugen, ob Emmanuel nicht, wie er es manchmal tut, noch darauf
zurückkommt und sich mit Verspätung über den fraglichen Umstand äußert. Aber nein, kein Wort. Man möchte glauben, er hat ihn
vergessen.
Zuvor aber möchte ich, da es sich um Miette handelt, ein Wort über sie sagen. Nach all den lyrischen Ergüssen Emmanuels möchte
ich nicht den Eindruck erwecken, sie zu entpoetisieren. Aber Miette ist ein Mädchen vom Lande, wie es deren viele gibt. Gewiß,
sie ist gesund und kräftig gebaut und hat in Fülle und bei festem Körper alle die Rundungen, die Emmanuel so gefallen. Aber
zu verstehen zu geben, daß Miette schön sei, erscheint mir stark übertrieben. In meinen Augen ist sie nicht schöner als die
»Badende« von Renoir, von der Emmanuel eine Reproduktion über dem Kopfende seines Bettes zu hängen hat, oder die bogenschießende
Birgitta, deren Foto in unserem Zimmer auf seinem Schreibtisch steht. (Eigentlich recht erstaunlich, daß Emmanuel nach dem
abscheulichen Brief, mit dem sie ihm
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