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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Überraschungen waren für uns noch nicht zu Ende. Miette wählte am nächsten Abend Colin. Am übernächsten mich. Am vierten
     Tag Meyssonnier. Am fünften Jacquet. Am sechsten wählte sie wiederum Peyssou. Und so fort in der angegebenen Reihenfolge,
     ohne jemals Emmanuel zu wählen.
    Niemandem war nach Lachen zumute, und doch war es eine Situation am Rande der Komödie. Die Lächerlichkeit traf uns alle. Der
     eifrigste Verfechter der Vielmännerei fand sich von ihrer Praxis ausgeschlossen. Und die sittenstrengen Anhänger der Monogamie
     ließen sich die Teilung ohne Scham gefallen.
    An einem gibt es nichts zu rätseln: Miette handelte von sich aus, wußte nichts von unseren Diskussionen und hatte sich mit
     niemandem beraten. Sie gab sich allen hin, weil wir alle sie sehr begehrten und weil sie gut war. Denn sie blieb in der Liebe
     völlig unbeteiligt. Was nicht verwunderlich ist, wenn man bedenkt, auf welche Art sie mit ihr bekannt gemacht worden war.
    |227| Was die Reihenfolge anbelangt, in der sich Miette ihre Partner erkor, wurde uns nach kurzer Zeit klar, daß sie ganz einfach
     der Tischordnung folgte. Blieb trotzdem das ungeheure Rätsel: Warum war Emmanuel, den sie anbetete, von ihrer Wahl ausgeschlossen?
    Denn sie betete ihn an, und zwar wie ein Kind, das sich nicht schämt, es zu zeigen. Wenn er den großen Saal betrat, hatte
     sie nur noch Augen für ihn. Wenn er das Wort ergriff, hing sie an seinen Lippen. Wenn er ging, folgte sie ihm mit dem Blick.
     Von Miette konnte man sich mühelos vorstellen, daß sie Emmanuel mit kostbaren Parfüms die Füße netzt und sie dann mit ihrem
     langen Haar trocknet. Dieser Vergleich deutet nicht darauf hin, daß ich mich von der religiösen Atmosphäre der abendlichen
     Runden einnehmen lasse. Er stammt von dem kleinen Colin.
    Als ich zum drittenmal an die Reihe kam, nahm ich mir vor, mir Klarheit zu verschaffen und Miette in der Intimität ihres Zimmers
     die Frage zu stellen. Obwohl Miette über ein Arsenal von Gebärden und mimischen Ausdrucksmitteln verfügt, mit denen sie sich
     gut verständlich macht (überdies kann sie schreiben), fällt es nicht immer leicht, ein Gespräch mit ihr zu führen, weil man
     ihr ja nicht, wie einer anderen Frau, ohne Ungehörigkeit ihr Schweigen vorwerfen kann, wenn man den Verdacht hat, es sei beabsichtigt.
     Als ich Miette fragte, warum sie bis zu diesem Tage Emmanuel nicht gewählt habe, wurde ihr Gesicht gleich abweisend, und sie
     beschränkte sich darauf, den Kopf zu schütteln. Dieselbe Frage, in anderer Form gestellt, zog die gleiche Antwort nach sich.
    Nun änderte ich meine Taktik. Ob sie Emmanuel denn nicht liebe? Kräftiges und wiederholtes Kopfnicken, zärtliche Augenaufschläge,
     halbgeöffnete Lippen, hingebungsvolles Gesicht. Gleich nehme ich meine Frage wieder auf: warum dann also? Ihre Augen schließen
     sich, der Mund auch, und wieder schüttelt sie den Kopf. Wir kommen nicht weiter. Ich stehe auf, hole aus meiner Jackentasche
     ein Heftchen, in dem ich die Aus- und Eingänge an Werkzeug notiere, und schreibe in dem schwachen Schein des Öllämpchens mit
     dicken Druckbuchstaben auf ein Blatt:
Warum nicht Emmanuel?
Bleistift und Notizheft reiche ich Miette. Sie legt das Heft auf ihre Knie, saugt an ihrem Bleistift und schreibt mit großem
     Aufwand:
Darum
. |228| Nach nochmaligem Überlegen setzt sie sogar einen Punkt hinter »Darum«, vermutlich um mir zu zeigen, daß ihre Antwort endgültig
     sei.
    Drei Tage später erfahre ich ganz zufällig ihre Gründe, vielmehr ihren Grund, denn es gibt nur einen.
    Emmanuel, immer auf Sicherheit versessen, hatte sich dafür entschieden, die drei Jagdflinten, den Karabiner, die Munition
     und die zwei Bogen mit den Pfeilen in unserem Zimmer aufzubewahren, die Tür jedesmal zu verschließen und den Schlüssel in
     einer Schublade des Magazins zu verbergen, ein Versteck, das nur uns beiden und Meyssonnier bekannt war.
    Eines Nachmittags, als ich mich umkleiden wollte – Emmanuel hatte mir eben meine erste Reitstunde gegeben, und ich war schweißgebadet
     –, holte ich mir den Schlüssel aus dem Versteck. Die Wendeltreppe im Bergfried ist nicht bequem, und da ich mich ermüdet fühlte,
     stieg ich nur langsam hoch und ließ meine linke Hand entlang der steinernen Säule Halt suchen, um die sich die Treppenstufen
     winden. Auf diese Weise gelangte ich ins zweite Stockwerk. Als ich, um Atem zu holen, auf dem obersten Absatz stehenblieb,
     gewahrte ich zu meinem Erstaunen

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