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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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hier weggerührt, jedermann kann es euch bestätigen. Und in die Grange Forte gehen wir übermorgen,
     nach der Beisetzung, alle drei.«
    Unter mächtigem Geflatter schwarzer Schleier melden sie Protest an.
    »Du hast doch unser Vertrauen, Emmanuel! Wir kennen dich doch! Und du glaubst doch nicht, daß wir an so was auch nur dachten!
     Vor allem in so einem Augenblick!«
    Am Morgen vor der Beerdigung bittet die Menou mich um |30| Hilfe, damit sie Momo zurechtmachen kann. An einer Toilette solcher Art habe ich schon mitgewirkt. Es ist keine geringe Sache.
     Man muß sich Momos überraschend bemächtigen, muß ihm, wie einem Hasen das Fell, seine Kleider abziehen, muß ihn zum Einweichen
     in einen Zuber setzen und darin festhalten, denn er wehrt sich wie ein Tobsüchtiger unter wildem Geschrei: »Lammido infrin
     vadammomal wossamagini!« (Laßt mich doch in Frieden, verdammt noch mal, Wasser mag ich nicht!)
    Und an diesem Morgen ist er noch viel störrischer als gewöhnlich. Auf dem Pflaster des Hofes dampft der Zuber in der Aprilsonne.
     Ich halte Momo unter den Achseln fest, während ihm die Menou gleichzeitig Hose und Unterhose herunterzieht. Sobald er mit
     den Füßen wieder den Boden berührt, stellt Momo mir ein Bein. Ich falle. Nackt wie ein Wurm, mit unerhörter Geschwindigkeit
     die mageren Beine bewegend, reißt er aus. Auf der Wiese unten steuert er auf eine der großen Eichen zu, springt hoch, hängt
     sich an einen Ast, zieht den Körper nach und klettert von Ast zu Ast, bis er außer Reichweite ist.
    Ich habe meinen Anzug an und will mich mit Momo keinesfalls auf einen Verfolgungskampf von Baum zu Baum einlassen. Die Menou
     kommt mir atemlos nach. Ich parlamentiere. Obgleich ich sechs Jahre jünger bin als Momo, sieht er in mir das Double des Onkels,
     ich habe eine gleichsam väterliche Autorität über ihn.
    Dennoch scheitere ich. Ich stoße auf eine Mauer. Momo ruft nicht sein gewohntes: »Lammido infrin vadammomal!« Er sagt nichts.
     Er sieht wimmernd zu mir herunter, seine schwarzen Augen glitzern zwischen dem jungen Laub des Frühlings.
    Ich bekomme nur ein »Igenni!« (Ich geh nicht!) zur Antwort, nicht gebrüllt, sondern leise gesprochen, aber mit Entschiedenheit,
     wobei er sich zum Zeichen der Verneinung mit Kopf, Oberkörper und Händen von rechts nach links wiegen läßt. Ich versuche es
     von neuem.
    »Aber hör mal, Momo, sei doch ein wenig vernünftig. Du mußt dich waschen, um zur Kirche zu gehen.« (Ich sage »Kir che «, das Wort »Kapelle« würde er nicht verstehen.)
    »Igenni! Igenni!«
    »Du willst nicht in die Kirche gehen?«
    »Igenni! Igenni!«
    |31| »Aber warum denn nicht? Für gewöhnlich gehst du doch gern in die Kirche?«
    Sicher auf seinem Ast sitzend, winkt er mit beiden Händen heftig ab und schaut durch das frisch glänzende junge Eichenlaub
     traurig auf mich herab. Sonst nichts. Ich werde keine Antwort mehr bekommen, nur diesen Blick.
    »Man muß ihn eben lassen«, sagt die Menou. Sie hat seine Kleider mitgebracht und legt sie unter den Baum. »Er kommt erst herunter,
     wenn wir gehen.«
    Schon macht sie kehrt und geht die Wiese wieder hinauf. Ein kurzer Blick auf meine Uhr. Es ist höchste Zeit. Mir steht diese
     lange gesellschaftliche Zeremonie bevor, die nur wenig Beziehung zu dem hat, was ich empfinde. Momo hat recht. Warum darf
     ich nicht, wie er, auf einem Baum sitzen bleiben und seufzen, anstatt mit meinen verheulten Schwestern ein groteskes Schauspiel
     von Kindestrauer darzubieten!
    Ich gehe nun auch die Wiese hinauf. Der Anstieg erscheint mir mühselig. Ich schaue auf meine Füße und stelle mit Staunen fest,
     daß die Wiese mit leuchtend grünen Büscheln jungen Grases durchsetzt ist. In den wenigen Sonnentagen sind sie unwahrscheinlich
     üppig gewachsen. Es wird keinen Monat mehr dauern, denke ich, dann werde ich mit dem Onkel Heu machen müssen.
    Der Gedanke daran erfüllt mich für gewöhnlich mit Freude, und sonderbar, die Freude regt sich auch diesmal. Und ganz plötzlich
     trifft es mich. Mitten auf dem Feld bleibe ich stehen. Die Tränen fließen mir über die Wangen.

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    Die Dinge überstürzen sich. Das nun folgende Wegzeichen ist ganz in der Nähe. Ein Jahr nach dem Unfall. Maître Gaillac ruft
     mich an und bittet mich, ihn in seinem Notariatsbüro in der Stadt aufzusuchen.
    Als ich zur verabredeten Zeit hinkomme, ist der Notar nicht zu sprechen, und der Bürovorsteher führt mich in das leere Arbeitszimmer.
     Auf seine

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