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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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linkischer Satz, doch unermeßliche Liebe hinter diesen Worten, und
     wie hätte ich mich ihrer für würdig halten können.
    Ich las den Brief ein drittes Mal. »Und durch wessen Schuld«, da blieb ich hängen. Auch darin erkannte ich des Onkels Manier,
     in Anspielungen zu reden. Er überließ es ganz meiner Wahl, die punktierte Linie unter der Frage auszufüllen. Schuld meines
     Vaters, weil er sich zur »falschen« Religion bekehrt hatte? Meiner Mutter mit ihrer Herzensdürre? Des Abbé Lebas mit seiner
     Inquisition des Sexus?
    Ich fragte mich auch, weshalb der Onkel auf seinen Besuch in Malevil, dem Treffpunkt des Zirkels, anspielte, nach meiner Flucht
     damals. Um ein Beispiel zu nennen, daß ich ihm »viel Freude« bereitet hatte? Oder verbarg sich dahinter ein anderer Gedanke,
     den er nur nicht aussprechen wollte? Ich wußte zu gut, wie sehr der Onkel Andeutungen liebte, als daß ich die Frage zu rasch
     hätte entscheiden wollen.
    Ich zog den dicken Schlüsselbund des Onkels aus der Tasche und fand auch gleich den Schlüssel zu dem Schrank aus Eichenholz.
     Ich kannte ihn genau. Er war flach und gezahnt und gehörte zu einem Sicherheitsschloß, das den Schrank mit einem vertikalen,
     oben und unten gleichzeitig einklinkenden Metallriegel versperrte. Ich öffnete den Schrank und sah zwischen Regalen voller
     Akten in einer Reihe den Larousse und die Bibel stehen, vierzehn Bücher insgesamt; allein schon die Bibel, in |35| gebosseltes braunes Leder gebunden, war monumental. Sie umfaßte vier Bände. Ich nahm sie heraus, legte sie auf einen Tisch
     und blätterte einen Band nach dem andern durch. Die Illustrationen überraschten mich. Sie hatten einen Hauch von Größe.
    Der Künstler hatte nicht daran gedacht, die geheiligten Gestalten zu verschönen. Er hatte ihnen, ganz im Gegenteil, das derbe
     und wilde Äußere von Stammeshäuptlingen bewahrt. Wie man sie so sah, grobknochig, mager, mit ungefügen Gesichtszügen und barfüßig,
     rochen sie nach dem Wollfett der Schafe, nach Kamelmist, nach Wüstensand. Rings um sie ein pulsierendes Leben voll Härte.
     Gott selbst, wie der Künstler ihn gesehen hatte, unterschied sich nicht von diesen rauhen Nomaden, die ihre Reichtümer nach
     der Anzahl der Kinder und Herden maßen. Größer nur noch und unbändiger, brauchte man ihn nur anzusehen, um zu begreifen, daß
     er diese Menschen »nach seinem Bilde« geschaffen hatte. Vorausgesetzt natürlich, daß es nicht umgekehrt war.
    Auf der letzten Seite der Bibel fand ich, mit Bleistift von der Hand des Onkels geschrieben, eine rätselhafte lange Liste
     von Wörtern. Ich zitiere die ersten zehn: actodrome, albergier, aléochare, alpargate, anastome, bactridie, balanobius, baobab,
     barbacou, barbastelle.
    Das Ausgeklügelte, Artifizielle dieser Liste sprang mir in die Augen. Ich nahm den ersten Band des Larousse und schlug ihn
     beim Wort »actodrome« auf. Und hier, in der Mitte der Seite mit Pflaster befestigt, fand ich eine Schatzanweisung im Werte
     von zehntausend Francs. Weitere Schatzanweisungen von unterschiedlichem Wert lagen in den zehn Bänden verstreut bei den seltenen
     Wörtern, aus denen der Onkel die Liste zusammengestellt hatte.
    Die Gesamtsumme – 315   000 Francs – setzte mich in Erstaunen, ohne mich zu blenden. Dieses postume Geschenk erweckte in keinem Moment ein Eigentumsgefühl
     bei mir. Ich hatte vielmehr die Empfindung, wie schon für die Sept Fayards bloß der Verwahrer dieses Kapitals zu sein mit
     der Verpflichtung, dem Onkel über den Gebrauch, den ich davon machen würde, Rechenschaft abzulegen.
    Mein Entschluß war so rasch gefaßt, daß ich nicht sicher war, ob er in Wirklichkeit nicht bereits vor meiner Entdeckung bestanden
     hatte. Ich ging sofort an die Ausführung. Ich erinnere |36| mich, daß ich auf meine Armbanduhr schaute. Es war halb zehn, und ich freute mich wie ein Kind, daß es noch nicht zu spät
     zum Telefonieren war. Im Notizheft des Onkels suchte ich die Nummer Grimauds und rief ihn über den Selbstwähldienst an.
    »Monsieur Grimaud?«
    »Am Apparat!«
    »Emmanuel Comte, ehemals Schuldirektor in Malejac.«
    »Was kann ich für Sie tun?«
    Seine Stimme war herzlich und bieder, keineswegs so, wie ich sie erwartet hatte.
    »Darf ich Ihnen eine Frage stellen, Monsieur Grimaud? Steht die Burg Malevil noch zum Verkauf?«
    Schweigen, dann mit der gleichen Stimme, aber diesmal gehalten, bedächtig, um ein weniges unverbindlicher: »Meines Wissens
     ja.«
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