Malevil
schwieg ich meinerseits, und Grimaud fuhr fort: »Darf ich Sie fragen, ob Sie mit Samuel Comte von den Sept Fayards verwandt
sind?«
Ich hatte seine Frage erwartet und war darauf vorbereitet.
»Ich bin sein Neffe, aber ich wußte nicht, daß mein Onkel Sie kannte.«
»Doch, doch«, sagte Grimaud, weiterhin zurückhaltend und vorsichtig. »Hat er Ihnen meine Telefonnummer gegeben?«
»Er ist verstorben.«
»Oh, das wußte ich nicht«, sagte Grimaud in verändertem Ton.
Ich schwieg, um ihn weiterreden zu lassen, doch er fügte nichts mehr hinzu, weder Beileid noch Bedauern.
»Monsieur Grimaud«, begann ich wieder, »könnten wir uns irgendwann treffen?«
»Aber gern, jederzeit.« Er fand jetzt wieder zu seinem verbindlichen, herzlichen Ton zurück.
»Morgen, gegen Mittag?«
Er behauptete nicht einmal, sehr beschäftigt zu sein.
»Aber ja, kommen Sie, wann Sie möchten. Ich bin immer hier.«
»Um elf Uhr?«
»Wann Sie möchten, Herr Direktor. Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung. Wenn Sie wollen, kommen Sie um elf Uhr.«
|37| Und auf einmal war er so verbindlich und höflich, daß es mich gut fünf Minuten kostete, ein Gespräch zu beenden, in dem alles
Wesentliche schon in ein paar Worten gesagt worden war.
Ich legte auf und betrachtete die roten Vorhänge, die im Büro des Onkels vor dem Fenster hingen. Zwei einander widersprechende
Empfindungen machten mir zu schaffen: Ich war glücklich über meinen Entschluß und benommen von dem ungeheuren Ausmaß meines
Unternehmens.
Ein niemals anwesender Eigentümer, eine unlautere Vertrauensperson, ein entschlossener Käufer: Acht Tage später wechselte
Malevil den Besitzer. In den sechs Jahren, die nun folgten, wußte ich nicht, was ich zuerst tun sollte.
Ich betrieb alles gleichzeitig: die Pferdezucht in den Sept Fayards, die Rodung des Gutslandes von Malevil, die Restaurierung
der Burg. Ich war fünfunddreißig Jahre, als ich mich in die beiden letztgenannten Unternehmungen stürzte, und einundvierzig,
als ich sie zu Ende brachte.
Von frühmorgens bis spätabends auf den Beinen, bedauerte ich, daß ich nicht mehrere Leben hatte, um sie alle meinen Aufgaben
widmen zu können. Und Malevil war inmitten dieser Arbeit mein Lohn, meine Liebe, meine Narretei. Die Geldsäcke im Zweiten
Kaiserreich hatten ihre Tänzerinnen. Ich hatte Malevil. Ich hatte auch meine Tänzerin, aber davon will ich etwas später reden.
Malevil zu kaufen war übrigens keine Narretei; wenn ich die Geschäfte des Onkels ausdehnen wollte, war es vielmehr eine Notwendigkeit,
denn die Uneinigkeit der Familie hatte mich gezwungen, die Grange Forte zu verkaufen, um meinen Schwestern ihr Erbteil auszahlen
zu können. Außerdem hatte ich in den Sept Fayards zuwenig Platz für die ständig wachsende Zahl meiner Pferde: derer, die ich
züchtete, derer, die ich kaufte, um sie wieder zu verkaufen, und derer, die ich in Pflege nahm. Als ich Malevil erwarb, ging
meine Absicht dahin, meinen Pferdebestand aufzuteilen; ein Teil sollte zusammen mit der Menou, Momo und mir in der Burg untergebracht
werden, der andere Teil unter der Obhut Germains, meines Handwerkers, in den Sept Fayards bleiben.
Insofern galt die Restaurierung von Malevil nicht allein der selbstlosen Rettung eines Meisterwerkes feudaler Architektur. |38| Übrigens gebe ich offen zu, daß Malevil, so imposant es erscheinen mag und sosehr ich an ihm hänge, sich nicht durch Schönheit
empfiehlt. Darin unterscheidet es sich von anderen Burgen in der Gegend, die alle von angenehmen Proportionen und gerundeten
Formen sind und weitaus besser mit der Landschaft verschmelzen.
Denn die Landschaft hier ist heiter: kühle Bäche, sanft abfallende Wiesen und grüne, mit Kastanien bestandene Hügel. Inmitten
dieser sanften Rundungen ragt Malevil senkrecht und abweisend empor.
Am Ufer der Rhunes, die im Mittelalter ein breiter Fluß gewesen sein müssen, steht Malevil auf halber Höhe eines steilen Felsens,
der es im Norden mit seiner überhängenden Masse überragt. Dieser Fels ist von allen Seiten her unzugänglich; für den einzigen
Zugangsweg im Westen hat man sicherlich einen Damm aufschütten müssen, um auf die felsige Plattform zu gelangen, wo man die
Burg mit ihrem Weiler errichten wollte.
Auf der anderen Seite der Rhunes, Malevil gegenüber, steht Burg Les Rouzies, gleichfalls ein feudaler Bau, aber elegant, maßvoll,
befestigt zwar, doch auch verschönt von runden Türmen, hübsch verteilt, nicht
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