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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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lediglich ein wenig Wasser hereingedrückt, das sich in Pfützen auf dem Fliesenbelag
     unterhalb der Wand ausbreitet. Mir kommt der Gedanke, Thomas zu bitten, diese Pfützen mit dem Geigerzähler zu prüfen. Doch
     ich verwerfe diesen Gedanken wieder. Ich habe das Gefühl, wenn ich die Dinge vorantreibe, fällt der Urteilsspruch ungünstig
     aus. Ich bin mir bewußt, daß das reiner Aberglaube von mir ist. Trotzdem gebe ich der Empfindung nach. Was für kleine Feigheiten
     ich mir doch gestatte, wenn ich mit mir allein bin, ich, der ich mich mit meinem Mut brüste! Nachdem ich den Augenblick der
     Wahrheit auf diese Weise hinausgeschoben habe, wende ich mich an die Menou und bitte sie in ruhigem Ton, das Feuer wieder
     anzufachen. Meine Stimme beherrsche ich noch, der Schein ist gewahrt, ich bin nur innerlich schwach geworden.
    Die Flamme züngelt empor. Stumm vor Angst drängen sich alle um das Feuer zusammen. Nach einer Weile kann ich ihr Schweigen
     nicht mehr ertragen. Ich mache mir Bewegung. Meine Kreppsohlen verursachen auf den Steinfliesen keinen Lärm, während ich auf
     und ab spaziere. Die Fensterscheiben sind so überflutet, daß ich die Empfindung habe, Malevil liege im Wasser und werde gleich
     wie eine Arche davontreiben. Als hielte die Furcht mich so gewaltig in Spannung, daß sie mich zwingt, ins Absurde zu flüchten,
     kommen mir noch andere, genauso törichte Gedanken. Zum Beispiel, mir von den Trophäen einen Säbel zu greifen und ihn mir,
     um schneller ein Ende zu machen, wie ein römischer Kaiser durch den Leib zu rennen.
    In diesem Augenblick werden die Windböen wieder heftiger, und der Regen hört auf. An das geräuschvolle Trommeln des Wassers
     gegen die Scheiben hatte ich mich wohl gewöhnt, denn als es aussetzt, habe ich eine Empfindung von Stille, obgleich der Wind
     heulend an den Fenstern rüttelt. Ich sehe, wie sich die Gruppe am Feuer mit einem Ruck zu ihnen hinwendet, als gehörten alle
     diese Köpfe zu ein und demselben Körper. Thomas geht wortlos zu dem Stuhl, auf dem er seine Gerätschaften abgelegt hat, zieht
     langsam seinen Regenmantel an und knöpft ihn sorgfältig zu, bevor er seine dicke Schutzbrille, den Helm und seine Handschuhe
     anlegt. Hernach nimmt er seinen Geigerzähler und geht, die Hörer griffbereit um den Hals, auf die Tür zu. Seine Brille, die
     von seinem Gesicht nur die untere |275| Partie sehen läßt, verleiht ihm das Aussehen eines fühllosen Roboters, der, ohne sich um Menschliches zu kümmern, seine technische
     Aufgabe erfüllt. Sein Regenmantel ist schwarz, und schwarz sind auch sein Helm und seine Stiefel.
    Ich kehre zu der Gruppe am Feuer zurück. Ich verschmelze mit ihr, habe das Bedürfnis, bei ihr zu sein, während wir warten.
     Das Feuer brennt mit kleiner Flamme. Mit dem Rücken zur Tür, durch die der Urteilsspruch für uns kommen soll, drängen wir
     uns dicht um das knausrige Flämmchen zusammen. Abwechselnd blickt Momo auf die Menou und auf mich. Was ein Ausdruck wie »radioaktive
     Staubteilchen« in seinem Kopf auslöst, weiß ich nicht. Jedenfalls hat er zu seiner Mutter und zu mir Vertrauen und weiß, daß
     er mit gutem Recht Angst hat. Er ist bleich. Sein glänzendes schwarzes Auge ist starr, er zittert an allen Gliedern. Auch
     uns würde es so gehen, wenn wir als Erwachsene nicht gelernt hätten, uns zu beherrschen.
    Die Gefährten sind nicht einmal mehr blaß, sie sind grau. Ich stehe zwischen Meyssonnier und Peyssou, wir halten uns ein wenig
     steif, den Rücken krumm, den Kopf geneigt, die Hände tief in unsere Taschen vergraben. Fulbert, auf der anderen Seite von
     Peyssou, aschfahl auch er, hält die Augen gesenkt, was alles Leben aus seinem fleischlosen Gesicht nimmt und ihm mehr denn
     je das Aussehen eines Leichnams verleiht. Falvine und Jacquet bewegen die Lippen. Ich vermute, daß sie beten. Der kleine Colin
     erscheint bedrängt und erregt, er gähnt, schluckt unablässig an seinem Speichel und atmet mit Mühe. Allein Miette erscheint
     nahezu heiter. Kaum ein wenig besorgt, aber um uns, nicht ihretwegen. Sie blickt uns der Reihe nach an und versucht uns mit
     einem leichten Lächeln zu trösten, das von unseren bleiernen Gesichtern abgleitet.
    Der Wind legt sich. Da kein Wort gewechselt wird und das Feuer nur rötlich glimmt, breitet sich drückende Stille im Raum aus.
     Was sich dann ereignet, geht so rasch, daß ich mich kaum erinnern kann, wie wir aus einem Zustand in den andern geraten sind.
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