Malevil
meinen Pflichten nicht nachkommen, wenn ich die priesterlichen
Funktionen anerkennen wollte, die Du in Malevil meintest auf Dich nehmen zu müssen.
|381| Abbé Gazel wird am nächsten Sonntag in Malevil die Messe lesen. Ich hoffe, Du wirst ihn freundlich aufnehmen.
Ich bitte Dich, mein lieber Emmanuel, an meine zutiefst christlichen Gefühle zu glauben.
Fulbert le Naud,
Bischof von La Roque
PS: Da Armand unpäßlich ist und das Bett hüten muß, beauftrage ich Monsieur Gazel, Dir diesen Brief zu überbringen und Deine
Antwort entgegenzunehmen.
Sobald ich den erstaunlichen Liebesbrief gelesen hatte, schob ich das Guckloch wieder auf, das ich gleich nach der Aushändigung
des Briefes sorgfältig geschlossen hatte: Ich wollte Gazel ja nicht die Fußfallen sehen lassen, die wir gerade anlegten. Da
stand nun mein Gazel vor der Palisade, sein Clownsgesicht von unbestimmtem Geschlecht drückte ein wenig Ängstlichkeit und
Spannung aus.
»Gazel«, sagte ich, »ich kann dir nicht auf der Stelle antworten. Ich muß die Versammlung von Malevil zu Rate ziehn. Colin
wird Fulbert morgen meine Antwort überbringen.«
»In diesem Fall komme ich morgen früh selbst wieder und hole sie ab«, sagte Gazel mit seiner Flötenstimme.
»Aber nein, ich möchte dir nicht zumuten, zwei Tage nacheinander dreißig Kilometer auf dem Esel zu reiten. Colin erledigt
das.«
Es trat eine Pause ein, Gazel zuckte mit den Wimpern und erklärte dann nicht ohne eine gewisse Verlegenheit: »Du wirst mich
entschuldigen, aber wir lassen keine fremden Personen mehr nach La Roque.«
»Was?« fragte ich ungläubig. »Und diese fremden Personen wären wir?«
»Nicht speziell«, sagte Gazel und schlug die Augen nieder.
»Aha! Weil es ja noch soviel andere Personen in der Gegend gibt!«
»Nun«, sagte Gazel, »es ist ein Beschluß des Rates der Pfarrgemeinde.«
»Ein Bravo für den Rat der Pfarrgemeinde!« sagte ich entrüstet. »Und ist dem Rat der Pfarrgemeinde nicht der Gedanke gekommen,
daß Malevil die gleiche Regel auf die Leute aus La Roque anwenden könnte?«
|382| Gazel hielt wie ein Schmerzensmann die Augen niedergeschlagen und verharrte in Schweigen. Er war im Begriff, einen »sehr schmerzensreichen
Augenblick« zu erleben, wie Fulbert gesagt hätte.
»Es ist dir doch nicht unbekannt«, fuhr ich fort, »daß Fulbert beabsichtigt, dich nächsten Sonntag hierherzuschicken, damit
du die Messe liest?«
»Ich weiß es«, sagte Gazel.
»Auf diese Weise hättest du das Recht, Malevil zu betreten, und ich sollte kein Recht haben, nach La Roque zu kommen!«
»Nun«, sagte Gazel, »die Entscheidung ist vorübergehend gültig.«
»Sieh mal an. Und warum vorübergehend?«
»Ich weiß nicht«, sagte Gazel und machte mir sofort den Eindruck, daß er es sehr wohl wußte.
»Nun gut, dann auf morgen«, sagte ich in eisigem Ton.
Gazel sagte auf Wiedersehen und kehrte mir den Rücken, um auf seinen Esel zu steigen. Ich rief ihn zurück.
»Gazel!«
Er kam wieder heran.
»Was für eine Krankheit hat denn Armand?«
Es war mir nämlich eingefallen, daß in La Roque eine Epidemie ausgebrochen sein könnte und daß La Roque sich isolierte, um
ihre Ausbreitung zu verhindern. Ein blöder Gedanke, denn er setzte bei Fulbert altruistische Gefühle voraus.
Auf Gazel jedoch war meine Frage von außerordentlicher Wirkung. Er errötete, seine Lippen bebten, und seine Augen wichen meinen
Blicken aus.
»Das weiß ich nicht«, stotterte er.
»Wieso weißt du es nicht?«
»Monsignore hat es selbst übernommen, Armand zu pflegen.«
Ich brauchte eine volle Sekunde, um zu begreifen, daß sich dieses »Monsignore« auf Fulbert bezog. Eines jedenfalls war sicher:
Wenn »Monsignore« Armand pflegte, war seine Krankheit nicht ansteckend. Ich ließ Gazel ziehen und berief nach dem Abendessen
die Versammlung ein, um über den Brief zu diskutieren.
Ich erklärte, was mich anbelange, sei ich vor allem aufgebracht über die absurden Ansprüche Fulberts. Nach meiner Meinung |383| spiegle sich in seinem Brief das Größenwahnsinnige und Neurotische seines Charakters wider. Ganz offensichtlich habe er sich
zum Bischof wählen lassen, um mir voraus zu sein, um Gazel ordinieren und mich dann als kirchlichen Rivalen ausschalten zu
können. An dieser Gier nach Vorherrschaft sei auch etwas Kindisches. Anstatt bestrebt zu sein, La Roque gegen die Plünderer
zu befestigen, was keine leichte Angelegenheit sei, lasse er sich auf den Kampf
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