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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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meinte, sein Humor würde meinen Gefährten
     nur um so fühlbarer sein. 1
    Ich täuschte mich. Er entging ihnen völlig. Sie bewunderten den Ton meines Briefes (das haut hin! sagte Colin) und waren von
     seinem Inhalt von Herzen begeistert. Sie verlangten die Urkunden zu sehen, auf die er sich stützte, und ich mußte aufstehen,
     um diese denkwürdigen Reliquien aus den Glasschränken im Saal des Wohnbaus zu holen, dazu auch ihre Übertragung in modernes
     Französisch, die der Onkel hatte anfertigen lassen.
    Sie fingen Feuer. Immer wieder mußten alle jene Stellen gelesen werden, in denen begründet wurde, daß La Roque unser Lehen
     war, wie auch die historische Entscheidung Sigismonds, sich selbst zum Geistlichen von Malevil zu ernennen. Na weißt du, sagte
     Peyssou, ich hätte nicht geglaubt, daß wir das Recht hatten, dich zu wählen, wie wir’s getan haben. Du hättest uns das schon
     früher zeigen sollen!
    Die ehrwürdige Tradition unserer Rechte stieg ihnen zu Kopf. Fünf Jahrhunderte, sagte Colin, stell dir das vor! Seit fünfhundert
     Jahren schon besteht das Recht, Geistlicher von Malevil zu sein! Trotzdem, man sollte auch nicht übertreiben, wandte Meyssonnier
     ehrlicherweise, wenn auch ungern, ein, es hat immerhin die Französische Revolution gegeben. Aber lange hat sie nicht vorgehalten,
     sagte Colin, das kannst du nicht vergleichen.
    Was sie bis zum äußersten erregte, war vor allem die »Inthro nisierung « des Bischofs in unserem Lehen La Roque durch den Herrn auf Malevil. Von Peyssou aufgefordert, erklärte ich das |386| Wort, so gut ich vermochte. Na ja, klar, Emmanuel, sagte Peyssou, da du den Fulbert nicht inthronisiert hast, ist er geradesowenig
     Bischof wie mein Arsch. (Herzliche Zustimmung.) Daraufhin war nur noch die Rede davon, den Schimpf, den er uns angetan, zu
     rächen, eine Strafexpedition gegen La Roque zu unternehmen und dort unsere Feudalrechte wiederherzustellen.
    Wortlos stand ich vor dem Anbranden nationalistischer Leidenschaften, die ich selbst ausgelöst hatte. Jetzt durfte ich den
     Gefährten die parodistische Absicht meines Briefes nicht einmal mehr verraten. Sie hatten zu sehr Feuer gefangen. Indessen
     versuchte ich die Hitzigsten zu beruhigen, was mir mit dem Beistand von Thomas und Meyssonnier, dann auch von Colin gelang,
     als feierlich beschlossen wurde, daß wir »unsere Freunde in La Roque« (Colin) niemals preisgeben würden. Und daß, falls sie
     belästigt oder geschädigt würden, Malevil eingreifen würde, wie das in meinem Brief schon gesagt war.
    Gazel kam am nächsten Tag zurück. Ich händigte ihm wortlos den Brief aus, und er zog ab. Zwei Tage später war die VVZ fertig
     und das Korn reif genug für die Ernte.
    Es war ein langwieriges Unterfangen, denn wir mußten die Ähren mit der Sichel schneiden, sie in Garben binden, die Garben
     nach Malevil fahren, eine Tenne auf dem äußeren Burghof einrichten und mit dem Dreschflegel die Körner vom Stroh trennen.
     Der Vorgang erforderte den Einsatz von viel Arbeitskraft, und als er beendet war, hatte jeder von uns das Bibelwort vom Brot
     und vom Schweiß an sich selbst erfahren.
    Trotz allem konnten wir uns sagen, daß sich die Mühe lohnte. Selbst wenn man das Viertel, das die Plünderer vergeudet hatten,
     in Rechnung stellte, ergab die Ernte ein Verhältnis von zehn Sack zu einem. Das machte im ganzen eintausendzweihundertfünfzig
     Kilogramm Korn. Das war wenig in Hinblick auf unsere bedeutenden Kornvorräte (zum Großteil der Beute aus dem Etang zu verdanken),
     viel aber als erste Ernte nach dem Tage des Ereignisses und als Versprechen für die Zukunft.
    In der Nacht, die auf die Ernte folgte, wurde ich durch ein leises Geräusch geweckt, dessen Herkunft ich anfangs in meinem
     Halbschlaf nicht begreifen konnte. Doch als ich meine Augen aufmachte, erkannte ich im Dunkeln, daß Evelyne auf dem Ruhebett
     nahe dem Fenster in kurzen Abständen in ihr Kopfkissen schluchzte.
    |387| »Du weinst?« fragte ich mit gedämpfter Stimme.
    »Ja«
    »Und warum?«
    Ersticktes Schluchzen und Aufschnupfen.
    »Weil ich Kummer habe.«
    »Komm, erzähl mir das.«
    Mit einem einzigen Sprung war sie von ihrem Kanapee auf meinem Bett und kuschelte sich in meine Arme. Wiewohl sie ein wenig
     zugenommen haben mochte, erschien sie mir noch recht leicht! Sie wiegt nicht mehr als ein Kätzchen auf meiner Schulter. Sie
     schluchzt weiter.
    »Du machst mich aber naß! Ein wahrer Springbrunnen! Stell mir das ab!«
    Ich gebe

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