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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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»Kurzum, mein Blickwinkel hat sich geändert. Ich gebe dir recht. Wo zwei Frauen auf sechs Männer kommen, kann
     niemand beanspruchen, eine Frau als ausschließlichen Besitz zu beschlagnahmen.«
    Erstaunt betrachte ich sein strenges Profil. Immer noch glaubte ich ihn völlig von seinem guten Recht auf Monogamie durchdrungen.
     Und nun höre ich meine eigenen Ansichten aus seinem Mund.
    »Außerdem«, sagt er, »bin ich nicht Caties Besitzer. Sie tut, was sie will. Sie ist ein menschliches Wesen. Sie hat mir nicht
     versprochen, treu zu sein, und ich brauche nicht zu wissen, was sie heute nachmittag getan hat. – Wir wollen nicht mehr darüber
     sprechen«, schließt er mit klarer Stimme.
    Wäre nicht diese Entscheidung, nicht mehr darüber zu sprechen, müßte ich ihn für völlig unbeteiligt halten. Er ist es nicht.
     Ein kaum merkliches Beben zeigt sich um seine Lippen. Was, wie ich sicher bin, bedeutet, daß er Caties Untreue vorausgesehen
     und sich im voraus mit Vernunftgründen gegen sie gewappnet hat. Und mit entlehnten Vernunftgründen. Darin erkenne ich meinen
     Thomas. Streng, aber nicht gefühllos. Und hier, an seiner Seite liegend und den Blick, gleich ihm, auf die Straße richtend,
     die zu überwachen unser Auftrag ist, empfinde ich ein starkes Gefühl der Freundschaft für ihn. Nicht, daß ich irgend etwas
     bereue. Aber zwischen dem, was ich heute nachmittag erlebt habe, und der Rührung, die ich in diesem Augenblick empfinde, scheint
     mir keine Möglichkeit eines Vergleichs zu bestehen.
    |432| Da das Schweigen nach meiner Ansicht zu lange dauert, stütze ich mich mit dem Ellbogen auf.
    »Wenn du möchtest, löse ich dich ab, du kannst hineingehen.«
    »Aber nein«, sagt Thomas, »dich braucht man in Malevil mehr als mich. Du mußt nachsehen, ob die Mauer deiner Vorstellung entspricht.«
    »Ja«, sage ich, »du hast recht. Aber dehne auch du deine Wache nicht über das Dunkelwerden aus. Das wäre unnötig. Für die
     Nacht haben wir den Bunker.«
    »Und wer wird sich dort hinhocken?«
    »Peyssou und Colin.«
    »Abgemacht«, sagt Thomas. »Wenn es dunkel wird, rücke ich ein.«
    Das einzige Zeichen von Spannung, das man wahrnehmen könnte, ist unser übertrieben normaler Ton, daß wir beinahe allzu sachlich
     miteinander sprechen.
    »Adieu«, sage ich im Weggehen mit einer Ungezwungenheit, die mir unecht vorkommt. Überhaupt würde ich auch dieses Wort »adieu«
     für gewöhnlich nicht gebraucht haben. Wir sind unter uns nicht so höflich.
    Ich schreite rasch aus. Ich schlage die Glocke an der Palisade einmal an, und Peyssou kommt das Schlupfloch für mich öffnen.
    »Na also«, sagt er, sobald ich neben ihm stehe. »Fertig. Was hältst du davon? Kannst du noch etwas von der Mauer sehen, na?
     Und schau, auch wenn du dich an der Seite aufstellst, siehst du noch nicht mal die Kante. Ist das nicht Tarnung? Kein Steinchen
     zu sehen, nichts als Säcke. Auf die Schnauze wird er fallen, dieser Vilmain.«
    Er schnauft ein wenig, sein Oberkörper ist nackt, trotz der Kühle des Abends schwitzt er noch etwas, und seine schweren, muskelgeschwellten
     Arme sind halb gebogen, als vermöchte er sie nicht mehr auszustrecken. Ich bemerke, daß seine Hände rot und, trotz ihrer Schwielen,
     zerschunden sind. Er strahlt.
    »Siehst du«, fährt er fort, »in einem Tag! Nur einen Tag hat es uns gekostet! Hätt es nicht geglaubt. Freilich, die Blöcke
     waren fertig zugehauen, und wir waren unser sechs. Oder fünf, und die vier Frauen.«
    Außer den beiden Meninas und Thomas ist ganz Malevil an |433| der Mauer versammelt, um sie im sinkenden Tageslicht zu bewundern. Catie steht auf einer der beiden Leitern und legt letzte
     Hand an, um die oberste Sackreihe ins Lot zu bringen. Sie steht mit dem Rücken zu uns.
    »Schön rund ist sie«, sagt Peyssou halblaut.
    »Nicht so schön wie ihre Schwester.«
    »Trotzdem«, sagt Peyssou. »Man kann sagen, Thomas hat Schwein. Und sie ist nicht stolz. Ist dir ein Ding, das sich mit jemand
     ins Gespräch einläßt. Und zutraulich. Immer gleich dabei, einen abzuküssen, selbst wenn mir’s mulmig dabei wird.«
    Ich sehe ihn im Halbdunkel rot werden.
    »Ich wollte dir was sagen, Emmanuel«, fährt er fort. »Wenn es soweit ist, daß wir uns morgen schlagen müssen und in Gefahr
     kommen, getötet zu werden, sollten wir vielleicht heute abend beichten. Ich spreche für mich und Colin.«
    Er dreht und wendet das Vorhängeschloß des Schlupflochs in seinen schweren Händen. Er hat

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