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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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nicht daran gedacht, es an Ort und
     Stelle zu hängen.
    »Ich will darüber nachdenken.«
    Doch dazu bleibt mir keine Zeit. Ein Schuß knallt. Ich erstarre.
    »Mach auf«, sage ich zu Peyssou. »Ich gehe. Das ist Thomas.«
    »Und wenn er es nicht wäre?«
    »Mach doch auf!«
    Er zieht den Schieber hoch, und während ich durch die Luke krieche, sage ich kurz angebunden: »Keiner kommt mir nach!«
    Ich halte das Gewehr in der Hand und laufe. Hundert Meter sind weit. An der zweiten Wegbiegung werde ich langsamer. Ich bücke
     mich und gehe gekrümmt im Graben weiter. Ich kann Thomas erkennen. Das Gewehr unterm Arm, steht er unbeweglich mitten auf
     der Straße. Er kehrt mir den Rücken zu. Ein helles Gebilde liegt vor seinen Füßen.
    »Thomas!«
    Er dreht sich um, aber es ist fast Nacht, und ich kann seine Züge nicht erkennen. Ich gehe auf ihn zu.
    Das helle, auf dem Boden liegende Gebilde ist eine Frau. Ich gewahre einen Rock, eine weiße Hemdbluse, langes blondes Haar.
     Sie hat ein schwarzes Loch auf der Brust.
    »Bébelle«, sagt Thomas.

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    »Bist du sicher?«
    Im Dämmerlicht sehe ich ihn die Achseln zucken.
    »Nach Hervés Beschreibung habe ich ihn sofort erkannt. Und auch an seinem Gang. Er glaubte allein zu sein und machte sich
     nicht die Mühe, wie eine Frau zu gehen.«
    Er schweigt und schluckt an seinem Speichel.
    »Und dann?«
    »Ich ließ ihn an mir vorüber, dann stand ich auf, lehnte mich an den Baumstamm, den du hier siehst, und rief: Bébelle! Nur
     so, gar nicht laut. Er drehte sich um, als hätte ihn ein Hund in die Wade gebissen, drückte sein kleines Bündel an seinen
     Bauch und steckte die rechte Hand in das Bündel. Ich rief: Hände in den Nacken, Bébelle! Da warf er sein Messer.«
    »Bist du ihm ausgewichen?«
    »Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, ob ich ihm ausgewichen bin oder ob Bébelles Blick von dem Baum angezogen wurde. Aus Gewohnheit,
     weil er das Werfen gegen einen Baum gelernt haben muß. Jedenfalls ging es, wenige Zentimeter von meiner Brust, ins Holz. Und
     ich habe gefeuert. Hier ist das Messer, ich habe also nicht geträumt.«
    Ich wiege das Messer in der Hand und hebe mit der Fußspitze Bébelles Rock bis zum Slip in die Höhe. Dann beuge ich mich vor
     und betrachte in dem schwachen Licht, was noch übrig ist, den Kopf. Sehr hübsche Züge, fein und regelmäßig, von langem blondem
     Haar eingerahmt. Nach dem Gesicht könnte man sich täuschen. Nun gut, Bébelle, deine Probleme sind endlich gelöst. Für dich
     hat der Tod die Wahl getroffen. Wir werden dich als Frau beerdigen.
    »Vilmain hat uns den gleichen Streich spielen wollen wie La Roque«, sagt Thomas.
    Ich schüttle den Kopf.
    »Hier in der Nähe ist er nicht. Sonst wäre er schon da.«
    Trotzdem ist es besser, hier nicht Wurzeln zu schlagen. Bébelle muß auf seine Bestattung warten. Ich ziehe Thomas im |435| Laufschritt mit mir nach Malevil. Und Jacquet lasse ich auf dem Wall Posten beziehen.
    Wir finden uns alle in der Küche des Torbaus wieder, eng um den Tisch gedrängt, im hellen Schein der Öllampe, die Falvine
     aus dem Wohnbau mitgebracht hat. Schweigend sehen wir uns an. Hinter uns lehnen die Waffen an der Wand, und die weiten Taschen
     unserer Bluejeans und unserer blauen Arbeitshosen sind vollgestopft mit Munition. Wir besitzen nur zwei Patronentaschen, und
     die haben wir für Miette und Catie reserviert.
    Einfache Mahlzeit: Landbrot, Butter, Schinken und Milch oder Wein nach Wunsch.
    Thomas fängt nochmals mit seinem Bericht an, von allen mit tiefer Aufmerksamkeit und von Catie mit einer Bewunderung aufgenommen,
     die mich ärgert. Unglaublich, daß ich so reagiere! Ich tue mein Bestes, meinen Ärger zu unterdrücken, aber es ist nicht so
     leicht.
    Als er geendet hat, besteht die allgemeine Ansicht, daß sich Vilmain und seine Bande tatsächlich nicht in der Gegend befanden.
     Denn wenn sie den Schuß gehört hätten, während sie doch wußten, daß Bébelle keine Flinte mitgenommen hatte, wären sie über
     Thomas hergefallen. Bébelles Auftrag hatte nicht darin bestanden, dem Pförtner den Hals abzuschneiden und ihnen zu öffnen
     wie in La Roque. Er sollte auf Erkundung ausgehen. Wie die beiden von heute morgen.
    Das Gespräch versickert und macht einem langen, bedrückten Schweigen Platz.
    Am Ende der Mahlzeit ergreife ich das Wort.
    »Sobald abgeräumt ist, werde ich, wenn alle einverstanden sind, die Kommunion erteilen.«
    Zustimmung. Thomas und Meyssonnier bleiben still.

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