Malevil
auszuziehen. Die Strecke bis zur Palisade lege ich langsam und auf Socken zurück und versuche, je näher ich ihr komme, um
so leiser zu atmen. Im letzten Augenblick schaue ich mit stockendem Herzen, anstatt das Guckloch aufzuschieben, durch das
Sicherheitsokular, das Colin für uns eingebaut hat. Es ist Hervé und ein anderer, kleinerer Bursche. Sonst ist niemand da.
Ich öffne das Guckloch.
»Hervé?«
»Ich bin’s.«
»Wer ist bei dir?«
»Maurice.«
»Schön. Hört mir zu. Ich werde das Schlupfloch öffnen. Ihr schiebt zuerst die Gewehre durch. Dann kommt Hervé allein herein.
Ich sage: allein. Maurice soll warten.«
»Einverstanden«, sagt Hervé.
Ich nehme das Vorhängeschloß vom Schlupfloch, hebe den Schieber an und mache ihn fest. Es erscheinen die zwei Gewehre.
»Weiter herein, die Gewehre!« befehle ich. »Den Lauf voran. Stoßt sie nach innen.«
Sie gehorchen, und ich lasse den Schieber wieder herunter. Ich öffne die Gewehrschlösser. Keine Kugel im Lauf oder Magazin.
Ich lehne die beiden Waffen an die Palisade und nehme die Springfield, die ich bis jetzt umgehängt getragen habe, in die Hand.
Dann lasse ich Hervé herein, schließe das Schlupfloch wieder und führe ihn zum Portal des Torbaus; erst als das Tor hinter
ihm zu ist, kehre ich zurück, um seinen Gefährten zu holen.
Vor diesem Morgen hatte ich mir noch nicht genau klargemacht, wie wir die VVZ nutzen sollten. In Wirklichkeit muß sie sich
als eine Schleuse bewähren. Sie ermöglicht es uns, die Besucher einzeln vorzulassen, nachdem wir sie entwaffnet haben. In
den Torbau zurückgekehrt, greife ich mir den Zettel, auf dem ich am Vorabend die Wachordnung eingetragen hatte, und auf der
Rückseite trage ich, noch bevor ich Hervé abermals vernehme, mit Bleistift die neue Regel ein, nach der ich eben verfahren
bin.
Noch während ich sie abfasse, kommen die Menou, Falvine |445| und Evelyne herein. Die erste beginnt sofort das Feuer anzumachen und befiehlt der zweiten, die gern geblieben wäre, in barschem
Ton, melken zu gehen. Evelyne hingegen schmiegt sich an mich und nimmt, da ich sie nicht wegjage, meinen linken Arm, wobei
sie meine Hand fest am Daumen hält, um ihn um ihre Taille zu legen. Sie sieht mir beim Schreiben zu, und weil sie befürchtet,
diese Vergünstigung könnte ihr entzogen werden, wenn sie es zu weit triebe, bleibt sie still und rührt sich nicht. Bin ich
bei einem Wort unschlüssig und blicke vom Papier auf, kann ich sehen, wie unsere Besucher mit Interesse auf Miette und Catie
schauen. Das Interesse ist wechselseitig, wie ich mich mit einem Blick auf Catie überzeugen kann. Diese steht sehr kriegerisch
da, stützt die linke Hand auf den Lauf ihres Gewehrs und hat den rechten Daumen in ihre Patronentasche gehakt. Ihre Augen
hängen ohne jede Scham an Hervé, und sie wiegt sich in den Hüften.
Wir sind noch lange nicht vollzählig, Peyssou und Colin sind noch im Bunker bei den Sept Fayards auf Wache, und Jacquet ist
auf dem Burgwall. Thomas, stelle ich fest, sieht Catie nicht an und hat sich ans andere Ende des Tisches gesetzt. Meyssonnier
steht hinter mir und blickt mir über die Schulter, während ich schreibe. Auf diese Weise macht er allen Anwesenden deutlich,
daß er zu Recht mein Adjutant ist.
Sobald ich mit meiner »Eintragung« fertig bin, löscht die Menou die Öllampe, und ich nehme Hervé ins Verhör.
Er teilt mir interessante Dinge mit: Bébelle ist gestern abend nicht allein auf Erkundung in Malevil gewesen. Ein Altgedienter
hat ihn begleitet. Alle beide sind mit dem Fahrrad von La Roque aufgebrochen. Aber Bébelle hat das seine zweihundert Meter
vor Malevil versteckt und dem Altgedienten aufgetragen, unter keinen Umständen einzuschreiten. Der Altgediente hat sich verkrochen,
er hat den Schuß gehört, hat Bébelle fallen sehen und ist nach La Roque zurückgekehrt. Vilmain hat sofort erklärt, Malevil
habe ihm »zwei Prachtkerle« getötet und er werde sich Malevil »vornehmen«. Aber zunächst hat er, um »seine Nachhut zu sichern«,
eine nächtliche Expedition nach Courcejac befohlen: sechs Mann unter dem Kommando der Brüder Feyrac. Unglücklicherweise hatte
der Altgediente, der mit Maurice in der Dämmerung des gleichen Morgens Courcejac erkundete, zwei Hühner gestohlen. Die Burschen
von Courcejac |446| sind nun wachsam gewesen, haben, als das Kommando auftauchte, das Feuer eröffnet und Daniel Feyrac getötet. Rasend vor Wut,
hat Jean
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