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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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nicht hin. Es ist nur Augenblickssache.
     Sie wird das Unwetter durchstehen und in Sekundenschnelle aus der Bö emportauchen. Ich kehre ihr den Rücken, um ihr nicht
     lästig zu fallen, und schaue durch die Dachluke. Aber unauffällig behalte ich die erstaunliche kleine Gestalt im Auge, die
     mit erhobenem Kopf und aufgerissenen Augen ohne das geringste Schluchzen weint. Ihr Bild spiegelt sich in der offenen Scheibe
     des Fensterchens, und da überraschen mich am meisten ihre zwei Fäuste, die sich kraftvoll um die Griffe der Winde schließen,
     als wollten sie allmählich auch am Leben wieder festen Halt finden.
    Ich lasse sie allein. Das wünscht sie sich, glaube ich. Raschen Schrittes erreiche ich den Bergfried und im Bergfried mein
     Zimmer. Dort setze ich mich an meinen Schreibtisch, und in der Schublade, in der ich schon lange nicht mehr gewühlt habe,
     finde ich, was ich suche: zwei Filzstifte, der eine schwarz, der andere rot. Ich finde auch, was ich nicht suche: die große
     Trillerpfeife, die ich Peyssou eines Tages, in einem närrischen Anfall von Großmut, geschenkt hatte, nachdem wir ihm eine
     Tracht Prügel verpaßt hatten, um ihm die Lust zu nehmen, Anführer des Zirkels zu werden. Wenn ich sie noch besitze, dann deshalb,
     weil ich Peyssous Gutherzigkeit ausgenutzt habe. Ich hatte ihn am folgenden Tage überredet, sie mir für gutes Geld |453| wieder zu verkaufen. Selbst heute macht es mir Vergnügen, sie zwischen den Fingern hin und her zu drehen. Noch immer ist sie
     das gleiche Wunderding. Ihre Verchromung hat den Jahren standgehalten, und sie bringt einen schrillen Ton hervor, der weithin
     zu hören ist. Ich stecke sie in die Brusttasche meines Hemdes und gehe, ein Viertel eines großen Blattes Zeichenpapier opfernd,
     an meine Aufgabe.
    Ich arbeite kaum fünf Minuten, als es an meine Tür klopft. Es ist Catie.
    »Setz dich, Catie«, sage ich, ohne den Kopf zu heben.
    Mein Tisch steht schräg an der Wand, frontal zum Fenster. Catie muß um ihn herumgehen, um sich, mit dem Rücken gegen das Licht,
     mir gegenüber zu setzen. Im Vorbeigehen streift sie mit ihrer linken Hand wie zerstreut über meinen Nacken und meinen Hals.
     Gleichzeitig wirft sie einen Blick auf das, was ich tue. Ich versuche die Wirkung, die ihre Gegenwart auf mich ausübt, vor
     ihr zu verbergen. Sie läßt sich nicht täuschen. Sie sitzt mit vorgeschobenem Bauch auf dem Rand ihres Sessels und schaut mich,
     mit halbgeschlossenen Augen und mit einem halben Lächeln auf den Lippen, beharrlich an.
    »Seid ihr mit den Ställen fertig, Catie?«
    »Ja, ich habe mich sogar geduscht.«
    Dies nicht ohne Absicht, kann ich mir denken. Aber ich blicke auf meine Arbeit hinunter. Wer gut zuhört, versteht schlecht.
    »Du möchtest mich sprechen?« frage ich nach einer Weile.
    »Nun ja«, sagt sie mit einem Seufzer.
    »Worüber?«
    »Über Vilmain. Ich habe eine Idee. Du hast gesagt, wenn man eine Idee hat, soll man zu dir kommen.«
    »Stimmt.«
    »Na denn. Ich habe eine Idee«, sagt sie mit bescheidener Miene.
    »Ich höre«, sage ich, den Blick auf meine Arbeit gesenkt.
    Pause.
    »Ich möchte dich nicht stören«, sagt sie, »besonders, weil du mitten in der Arbeit zu stecken scheinst. Und wahrhaftig, wie
     schön du schreibst!« fährt sie fort und versucht die dicken Druckbuchstaben, die ich mit meinem Filzstift zeichne, von der
     verkehrten Seite zu lesen. »Was machst du da, Emmanuel, ein Plakat?«
    |454| »Eine Proklamation für Vilmain und seine Truppe.«
    »Und was besagt deine Proklamation?«
    »Sehr Unangenehmes für Vilmain und bedeutend weniger Unangenehmes für seine Truppe. Wenn du so willst, versuche ich, die schlechte
     Moral der Truppe auszunutzen und sie von ihrem Anführer zu trennen.«
    »Und du meinst, das läßt sich machen?«
    »Wenn es für sie schiefgeht, ja. Im Fall des Gegenteils, nein. Mich wird es schlimmstenfalls nur ein Blatt Papier gekostet
     haben.«
    Hinter mir wird an die Tür geklopft. Ohne mich umzudrehen, rufe ich »Herein!« und setze meine Arbeit fort. Ich stelle fest,
     daß Catie sich in ihrem Sessel aufrichtet, und da das Schweigen andauert, drehe ich mich mit dem Oberkörper nach hinten, um
     den Besucher zu sehen. Es ist Evelyne.
    Ich runzle die Brauen.
    »Was machst du denn hier?«
    »Meyssonnier ist vom Beerdigen Bébelles zurück, und ich bin gekommen, es dir zu sagen.«
    »Hat Meyssonnier dich darum gebeten?«
    »Nein.«
    »Hast du nicht freiwillig beim Abwaschen

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