Malevil
würde mir Freude machen. Aber ich befürchte, daß wir keine Insekten mehr wiedersehen werden, falls sie nicht
aus weniger betroffenen Gebieten bei uns einwandern. Und die Vögel? Angenommen, sie hätten anderswo überlebt, wie sollten
sie hier ohne Insekten leben können? Der Wald wird sich in weniger als einem Vierteljahrhundert von selbst regenerieren, aber
die Natur wird verstümmelt bleiben.
Umgeben von dieser erstickenden Stille, in der Feuchtigkeit des Unterholzes, wo kein Windhauch die Blätter bewegt, fühle ich
mich einsam, es ist ein schlimmer Augenblick für mich. Die Furcht vor dem Kampf ist es nicht. Der Aufruhr der Eingeweide,
das mulmige Gefühl, das Herzklopfen habe ich kennengelernt, danke! Was ich empfinde, ist weitaus ärger, eine andere Art von
Angst. Colin schläft, und ohne ihn, ohne Gefährten und fern von Malevil habe ich das Gefühl, überhaupt nichts mehr zu sein.
Ich schlottere wie eine leere Hülse.
Diese Leere wird mir so unerträglich, daß ich Colin wecke. Welcher Egoismus! Ich wecke ihn volle fünf Minuten vor der Frist,
die ich mir gesetzt hatte. Er schlägt die Augen auf, er rekelt sich, er spricht mit mir und fährt mich gleich an. Macht nichts,
sobald er mit mir redet, finde ich wieder zu mir selbst. Zu meinen freundschaftlichen Banden, zu meiner Verantwortung, zu
der Rolle, mit der mich meine Gefährten betraut haben, und zu dem Charakter, den sie mir zuerkennen. Ich schlüpfe in meine
Haut zurück, ziemlich erleichtert, eine zu haben.
»Verdammt, konntest du mich nicht in Frieden lassen!« sagt Colin leise. »Ich hatte gerade einen von diesen Träumen!«
Er brennt darauf, ihn mir zu erzählen, aber ich bedeute ihm zu schweigen, wir sind der Landstraße zu nahe. Wir dringen tiefer
ins Unterholz vor, und als wir schließlich auf dem Pfad sind, hat er seinen Traum vergessen, nicht aber seine unterschwellige
Beschäftigung mit ihm. Merkwürdig, daß es der Gefahr nicht gelingt, unser Alltagsdenken vollkommen zu verdrängen.
|466| Mit hochgezogenen Augenbrauen und einem halben Lächeln sieht er mir ins Gesicht.
»Läuft dir Catie nicht ein wenig nach?«
»Doch.«
»Und auch Peyssou läuft sie nach?«
»Hast du es bemerkt?«
»Und Hervé?«
»Vielleicht.«
Pause.
»Und was ist mit Thomas?«
»Thomas sieht ein, daß es in Malevil nur zwei Frauen für sechs Männer gibt.«
»Na und?«
»Er fragt sich schon, ob es klug von ihm gewesen ist, Catie zu heiraten.«
Pause.
»Was meinst du, warum es so wenige Frauen gibt?«
»Bei den umherziehenden Banden versteht sich das von selbst. Entweder wollen die Bandenführer keine, oder man hat sie physisch
ausgerottet. Wenn es nahezu nichts zu essen gibt, essen die Stärkeren.«
»Und bei Leuten wie uns?«
»Du meinst: den seßhaften?«
»Ja.«
»Das ist ein anderes Phänomen, glaube ich. Vor dem Tag des Ereignisses liefen achtzig Prozent der Mädchen vom Lande weg in
die Stadt.«
»Und du meinst, daß alle Städte zerstört worden sind?«
»Ich kann es nicht sagen. Bisher aber haben die Banden, mit denen wir es zu tun hatten, nicht aus Städtern bestanden.«
Pause.
»Scheußlich«, sagt Colin mit mürrischer Miene. »Für alle wäre es besser, wenn jeder seine Frau für sich hätte.«
Eine Überlegung, die mir nicht sehr freundlich in Hinblick auf Miette erscheinen will. Arme Miette: noch einer, der deiner
Dienste ein wenig müde geworden ist!
Ich wechsele das Thema.
»Colin, ich möchte, daß du dich heute nachmittag richtig ausschläfst!«
Wie ich vorausgesehen hatte, sträubt er sich.
|467| »Und weshalb gerade ich?« sagt er und reckt seine Schultern.
In der Tat, warum er? Doch nicht, weil er klein ist?
»Ich will dir eine sehr wichtige Rolle im Verteidigungsplan anvertrauen.«
»Oh!« sagt er, wieder aufgeheitert.
»Du sollst das Einmannloch besetzen, das Meyssonnier aushebt.«
»Und wer wird den Bunker besetzen?«
»Hervé und Maurice.«
»Und ich das Loch?«
»Ja. Das bedeutet, daß du in der Nacht nicht schlafen darfst. Sie werden abwechselnd schlafen können, du nicht.«
»Eine durchwachte Nacht macht mir keine Angst«, sagt Colin mit lässiger Miene. »Was werde ich als Waffe haben?« fragt er noch.
»Ein 36er-Gewehr.«
»Aha!« sagt er höchst befriedigt.
Er hebt den Kopf, um mich anzusehen.
»Und die anderen?«
»Hervé und Maurice?«
»Ja.«
»Die ihren.«
Pause.
»Warum 36er-Gewehre für alle drei?«
»Damit Vilmains Burschen, wenn ihr anfangt, ihnen in
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