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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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einen Fuß gestützt, stehen und hält die Hand hoch, wie um Aufmerksamkeit zu fordern. Dabei umspielt
     ein liebenswürdiger Ausdruck sein jugendliches Gesicht. Sobald er Ruhe erlangt hat, spricht er in einem gleichmäßigen und
     höflichen Ton, der sich angenehm von dem lautstarken Schelten abhebt, das man eben vernommen hat.
    »Ich glaube, daß der Herr Abbé Gazel etwas zu bemerken hat. Ich erteile ihm das Wort.«
    Daraufhin setzt er sich wieder. Die Jugend, die Eleganz, der |507| gemessene und höfliche Ton Hervés und auch die Tatsache, daß er Gazel über Fulberts Kopf hinweg das Wort erteilt hat, bringen
     eine verblüffende Wirkung hervor. Und am meisten verblüfft ist ganz bestimmt Fulbert, der nicht versteht, warum der Sprecher
     Vilmains Gazel reden lassen will: Gazel, der den Mord an Lanouaille und Vilmains »Übertretungen« getadelt hat!
    Gazel selber ist recht betreten, daß ihm das Wort angetragen wird, das er nicht verlangt hat. Gern hätte er sich auf seinen
     Protest durch Gebärden beschränkt, die ihn weit weniger kompromittieren konnten. Aber da ihm aus dem Saal Rufe: Sprechen Sie,
     Herr Gazel, sprechen Sie! entgegenschallen und Hervé ihn mit Gesten ermutigt, entschließt er sich aufzustehen. Unter den schönen
     Locken seines ergrauenden Haars erscheint sein langes Clownsgesicht schlaff, bestürzt und ungeschlechtlich, und er redet mit
     jener neutralen, dünnen Stimme, die niemand ohne Lächeln hören kann. Und dennoch äußert er, was er vor uns, vor Fulbert zu
     sagen hat, nicht ohne Mut.
    »Ich möchte darauf aufmerksam machen«, sagt Gazel, die Hände in Brusthöhe gekreuzt, »daß seit dem Tage, an dem ich das Schloß
     wegen all der Schlechtigkeiten verlassen habe, die in La Roque passieren, der Rat der Pfarrgemeinde nicht mehr zusammengetreten
     ist!«
    »Na und«, schaltet sich Fulbert sogleich mit schneidender Verachtung ein, »was geht es uns an, ob du Dummkopf den Rat der
     Pfarrgemeinde verlassen hast oder nicht?«
    In Gazels langem, kropfigem Hals steigt etwas hoch, und sein schlaffes Gesicht verhärtet sich. Wenn halbe Krüppel wie er etwas
     nicht verzeihen können, dann sind es die Verletzungen ihrer Eigenliebe.
    »Ich bitte Sie zu verzeihen, Monsignore«, sagt er, völlig verändert, mit säuerlicher, spitzer Altjungfernstimme, »Sie haben
     doch erklärt, daß Sie Herrn Comte im Namen des Rates der Pfarrgemeinde verurteilen. Und ich mache Sie eben darauf aufmerksam,
     daß der Rat der Pfarrgemeinde nicht zusammengetreten ist und daß ich der Verurteilung von Herrn Comte auch nicht zustimme.«
    Gazel bekommt Applaus, nicht allein von den fünf Mitgliedern der Opposition, sondern auch von zwei oder drei Personen aus
     der Mehrheit, die er, nehme ich an, mit seinem Mut beschämt |508| hat. Gazel nimmt, rot und zitternd, wieder Platz, und Fulbert schmettert ihn sofort nieder.
    »Ich werde sehr wohl ohne deine Zustimmung auskommen! Du elendes Nichts hast mein Vertrauen mißbraucht! Ich werde deine Worte
     nicht vergessen, und du wirst mir dafür bezahlen!«
    Seine Rede wird mit Buhrufen aufgenommen, und Judith, die sich plötzlich ihrer Vergangenheit als linke Christin erinnert,
     schmäht Fulbert aus vollen Lungen: »Nazi! SS-Mann!« Marcel, sehe ich, hält sie nur noch locker zurück. Ich befürchte, die
     Einwohner von La Roque könnten in ihr den Rädelsführer sehen, der sie zum Angriff aufstachelt, und ich fürchte vor allem für
     die Sicherheit der Neuen.
    Ich erhebe mich und sage mit lauter Stimme: »Ich bitte ums Wort.«
    »Ich erteile es dir«, sagt Hervé sogleich, sehr erleichtert.
    »Wie?« schreit Fulbert, seine Wut gegen Hervé kehrend. »Du gibst diesem Elenden das Wort? Diesem falschen Priester? Diesem
     Feind Gottes? Kein Gedanke! Eben habe ich ihn zum Tode verurteilt!«
    »Ein Grund mehr«, sagt Hervé und streicht gelassen sein Spitzbärtchen. »Es ist wohl das mindeste, daß er eine letzte Erklärung
     abgeben darf.«
    »Das übersteigt doch alles!« fährt Fulbert fort. »Was soll das bedeuten? Ist es Dummheit oder Verrat? Du machst, was dir einfällt,
     das ist nicht zu glauben! Und ich, ich gebe dir den Befehl, den Verurteilten zum Schweigen zu bringen, verstehst du?«
    »Von Ihnen«, sagt Hervé würdevoll, »habe ich keinen Befehl entgegenzunehmen. Sie sind nicht mein Chef. In Abwesenheit von
     Vilmain bin ich es, der hier befiehlt«, fährt er fort und schlägt mit der flachen Hand auf den Kolben seines Gewehrs. »Und
     ich habe entschieden, daß

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