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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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meinen Brief vorzulesen,
     denn alle hier Anwesenden hätten sich überzeugen können, daß so etwas gar nicht im Brief stand. Aber nehmen wir es an. Nehmen
     wir sogar an, daß ich in diesem Brief meine Absicht kundgetan hätte, La Roque anzugreifen. Die einzige Frage, die sich stellt,
     wäre diese: Habe ich es getan? Bin ich es denn, der bei Einbruch der Dunkelheit in La Roque eingedrungen ist und den Wachtposten
     getötet hat? Bin ich es, der die Vorräte geplündert, die Einwohner belästigt und die Frauen vergewaltigt hat? Bin ich es,
     der die Bewohner von Courcejac bis auf den letzten Mann umgebracht hat? Dennoch, den Menschen, der das getan hat, behandelt
     Fulbert als Freund! Und mich verurteilt |513| er zum Tode, weil ich, wie er sagt, die Absicht dazu gehabt hätte! Das also ist Fulberts Gerechtigkeit: Tod für einen Unschuldigen
     und Freundschaft für einen Verbrecher!«
    Die Sonne hat den Moment, das Kirchenfenster hinter mir zu erleuchten, gut gewählt und Hervé nicht anders den Moment, ein
     letztes Mal seine Landsknechtrolle zu spielen:
    »Heda, langsam, Angeklagter! Vom Chef darfst du nicht so sprechen!«
    Ich fahre ihm dazwischen.
    »Unterbrich mich nicht, Hervé. Der Spaß ist zu Ende!«
    Als man mich im Befehlston mit meinem Bewacher reden hört, fährt Fulbert heftig zusammen, und die Anwesenden machen große
     Augen. Ich richte mich auf. Besser gesagt, ich stelle mich in Positur. Mit Wollust tauche ich in das Licht des Kirchenfensters
     ein. Ich spüre, wie sich meine Augen weiten und mein ganzes Wesen sich in dieser plötzlichen Helligkeit entfaltet. Erstaunlich
     ist auch, daß mir die Sonne, sogar durch das bunte Glas, Schultern und Rücken zu erwärmen vermag. Ich habe es nötig. Ich war
     erstarrt.
    Als ich wieder das Wort ergreife, ist es mit meiner ruhigen Vortragsweise vorbei. Ich verleihe meiner Stimme ihren vollen
     Umfang und nehme keinen Anstoß daran, die Kapelle mit ihr auszufüllen.
    »Als Armand Pimont erschossen hat, nachdem er versucht hatte, dessen Frau zu mißbrauchen, hast du ihn gedeckt. Als Bébelle
     Lanouaille getötet hat, hast du ihn, ihn und Vilmain, an deinen Tisch gebeten. Als Jean Feyrac die Menschen in Courcejac massakriert
     hat, hast du weiterhin mit ihm gezecht. Und weshalb hast du das getan? Um die Freundschaft Vilmains zu gewinnen, denn mit
     seiner Hilfe, so hast du dir nach Armands Tod ausgerechnet, wirst du die Tyrannei in La Roque verewigen und dir die innere
     Opposition zugleich mit Malevil vom Halse schaffen.«
    Meine Worte fielen dröhnend in die völlige Stille. Danach gewahre ich, daß Fulbert sich wieder gefaßt hat.
    »Ich möchte wissen«, sagt er, seinen Celloton wiederfindend, »worauf dieses ganze Gerede hinausläuft. Es wird an deinem Geschick
     nichts ändern.«
    »Und Sie erwidern nichts darauf?« schreit Judith, die sich zornig vorbeugt. Ihr breiter Unterkiefer ragt aus dem marineblauen |514| Rollkragenpullover, und ihre blauen Augen sind funkelnd und pfeilgerade auf Fulbert gerichtet.
    »Ich will es mit einem Wort tun«, sagt Fulbert und schaut verstohlen auf seine Uhr. (Ich vermute, daß es ihm jetzt geglückt
     ist, seine Befürchtungen zum Schweigen zu bringen und daß er von Sekunde zu Sekunde das Eintreffen Vilmains erwartet.) »Unnötig
     zu erwähnen«, fährt er fort, »daß ich nicht alles billige, was Hauptmann Vilmain und seine Männer hier und anderswo getan
     haben. Aber Soldaten bleiben Soldaten, daran ändern wir nichts. Und mir als Bischof von La Roque kommt die Rolle zu, das Gute
     zu sehen, das ich aus diesem Übel ziehen kann. Wenn ich, dank Hauptmann Vilmain, in La Roque und in Malevil die Ketzerei auszurotten
     vermag, werde ich der Ansicht sein, meine Pflicht erfüllt zu haben.«
    Nun erreicht die Erregung ihren Siedepunkt, grenzenlose Wut erfüllt den Raum. Und nicht allein die Opposition, auch die Mehrheit
     ist über dieses Geständnis aufgebracht. Und ich denke nicht einmal daran, Vorteil daraus zu ziehen, ich bleibe still. Denn
     eben habe ich zu meiner tiefen Verwunderung bemerkt, daß Fulbert, wenn er sich auf diese Weise ausdrückt, beinahe aufrichtig
     ist. Oh, nicht, daß ich das Moment der persönlichen Rachsucht bei ihm außer acht ließe! Aber hier, in diesem Augenblick, liegt
     es trotzdem auf der Hand, daß dieser falsche Priester, dieser Scharlatan und Abenteurer schließlich doch ganz eins mit seiner
     Rolle geworden ist und daß er mehr als nur zur Hälfte an seine Rolle als Hüter der

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