Malevil
Pfarrer zu stürzen und ihn in Stücke zu reißen.
Ich habe das Gefühl, daß mein Prozeß wie Zündstoff wirkt. Er hat den Abscheu der Opposition gegen das Oberhaupt von La Roque
hochgespült. Zum erstenmal explodiert er am hellen Tage und mit einer Gewalt, die Fulbert verblüfft.
|505| Gewandt im Lügen, muß er es auch darin sein, sich selbst zu betrügen. Seit er in La Roque befiehlt, hat er sich damit abfinden
müssen, die Furcht, die er einflößt, für Respekt zu nehmen. Allem Anschein nach hielt er sich bei den Bewohnern von La Roque
nicht für so verhaßt, denn die Mehrheit der Anwesenden tritt ihm nicht weniger feindlich entgegen, wenn sich ihre ablehnende
Haltung auch nur in einem vorsichtigen Murren äußert. Der Ausbruch solchen Hasses erschreckt ihn. Ich sehe ihn buchstäblich
erzittern wie ein Standbild, dem man die Basis wegschlägt. Er wird rot und blaß, ballt die Fäuste, fängt mehrere Sätze an,
ohne daß es ihm gelingt, einen einzigen zu beenden, sein Gesicht fällt ein und zuckt, während in seinen Augen Entsetzen und
Wut einander ablösen.
Dennoch, er ist nicht feige. Er nimmt den Kampf auf. Festen Schrittes geht er auf die Stufen des Chors zu, steigt hinauf und
stellt sich dann zwischen Jeannet und Maurice, wo er die Arme ausbreitet und Ruhe gebietet. Es ist verblüffend, nach wenigen
Sekunden herrscht tatsächlich Ruhe, so mächtig ist in La Roque die Gewohnheit, auf Fulbert zu hören.
»Ich sehe«, sagt er, bebend vor Zorn und Entrüstung, »daß der Moment gekommen ist, die Spreu vom Weizen zu trennen. Es gibt
hier Menschen, die sich Christen nennen und nicht gezögert haben, sich gegen ihren Seelenhirten hinter seinem Rücken zu verschwören.
Diese Verschwörer mögen eines wissen: Ich werde ohne Schwanken meine Pflicht tun. Wenn es hier Leute gibt, die Ärgernis erregen
und die Pfarre verführen, werde ich sie aus der Kirche stoßen, ich werde das Haus meines Vaters von Grund auf säubern! Und
wenn sich Unrat findet, werde ich ihn hinwegfegen!«
Diese Rede ruft Schreie der Entrüstung und heftigen Protest hervor. Besonders fällt mir Marie Lanouaille auf, die, mit äußerster
Mühe von Marcel und Judith zurückgehalten, mit gellender Stimme schreit: »Du selbst bist der Unrat! Du sitzt doch mit den
Mördern meines Mannes an einem Tisch!«
Von meinem Platz kann ich nur das rechte Auge meines Anklägers sehen. Es flackert in blindwütigem Haß. In seiner Wut hat Fulbert
alle Selbstbeherrschung und Gewandtheit verloren. Er steuert die Dinge nicht mehr, er bietet ihnen Trotz. Er bedient sich
keiner Kniffe mehr, er provoziert. Mit Vilmains Gewehren hinter sich fühlt er sich stark und ist entschlossen, |506| die Menschen von La Roque herauszufordern und in die Knie zu zwingen. In wenigen Minuten ist er wie durch Ansteckung in die
primitive Geisteshaltung Vilmains zurückgefallen. Ich bin sicher, in diesem Augenblick, in dem er seinen Mitbürgern rasend
vor Zorn entgegentritt, denkt er nur daran, mit dem Schwert über sie zu kommen.
Als Fulbert abermals die Arme hebt, tritt wieder einigermaßen Ruhe ein, und mit veränderter Stimme, die nichts mehr von dem
Celloton hat, dessen er sich für gewöhnlich bedient, brüllt er kreischend und nahezu hysterisch los.
»Was den wahren Anstifter aller dieser Komplotte, Emmanuel Comte, betrifft, läßt mir euer gegenwärtiges Verhalten keine Wahl!
Im Namen des Rates der Pfarrgemeinde verurteile ich ihn zum Tode!«
Der Tumult übersteigt nun alles, was ich mir hätte vorstellen können. Ich merke, daß Hervé zu meiner Rechten nicht ohne Besorgnis
ist, denn er muß befürchten, von der wütenden Versammlung samt seinen Gefährten angegriffen und entwaffnet zu werden. Sie
schreiten, glaube ich, nur deshalb nicht gleich zur Tat, weil sie nicht darauf vorbereitet sind, und vor allem, weil ihnen
der starke Mann fehlt.
Und auch weil ihnen Fulbert durch seine Anwesenheit, mit seinem Mut und dem offenen Haß, den man ihm vom Gesicht abliest,
weiterhin imponiert.
Gazel hat gezuckt, als sein ehemaliger Amtsbruder den Rat der Pfarrgemeinde erwähnte. Er hat den Kopf geschüttelt und seine
weichen Hände verneinend vor sein Gesicht gehoben.
Ich beuge mich zu Hervé. »Gib doch Gazel das Wort«, sage ich leise. »Ich glaube, er hat etwas zu sagen.«
Hervé erhebt sich und hängt das Gewehr über, um seine friedlichen Absichten erkennen zu lassen. Und so bleibt er eine volle
Sekunde lang, elegant auf
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