Malevil
patois mit lauter Stimme und in einem ganz anderen Tonfall fort: nicht gerade geschaffen,
Leute in Versuchung zu führen.
|91| Während ich meine Kleider wieder anlegte, blickte ich verstohlen auf Colin und Meyssonnier und sowenig wie möglich auf Peyssou.
Das Gesicht Meyssonniers war in die Länge gezogen, ausgemergelt und leer, er blinzelte ununterbrochen. Colin zeigte noch sein
gondelförmiges Lächeln, doch war es sonderbar gekünstelt und erstarrt und stand in keinem Verhältnis zu der Angst, die ich
seinen Augen ablesen konnte. Peyssou aber, für den kein Grund mehr war zu bleiben, nachdem er getrunken und gegessen hatte,
machte keine Anstalten zu gehen; um ihn nicht wieder in Bewegung zu setzen, vermied ich sorgfältig den Anschein, auf ihn zu
achten. Seine großen dicken Lippen bebten, Zuckungen liefen über seine breiten Wangen, die Arme hingen ihm herab, er stand
mit leicht gebeugten Knien, und man sah ihm an, daß aller Wille und jede Hoffnung aus ihm gewichen waren. Ich bemerkte, daß
er häufig einen Blick auf die Menou warf, als erwartete er von ihr, daß sie ihm vorschriebe, was zu tun sei.
Ich trat an Thomas heran. Wegen der Dunkelheit in diesem Teil des Kellers konnte ich ihn nur ziemlich schlecht sehen.
»Ob es wohl gefährlich ist, hinauszugehen?« fragte ich ihn leise.
»Wenn du die Temperatur meinst: nein. Sie ist gesunken.«
»Gibt es noch einen anderen Gesichtspunkt?«
»Ganz gewiß. Die Niederschläge.«
Ich sah ihn an. An radioaktive Niederschläge hatte ich nicht gedacht. Mir wurde klar, daß Thomas keinen Zweifel an der Natur
des Ereignisses hegte.
»Wäre es dann besser, zu warten?« fragte ich.
Thomas zuckte die Achseln. Sein Gesicht war ohne Leben und seine Stimme düster.
»Niederschläge kann es in einem Monat, in zwei Monaten, in drei Monaten geben …«
»Und jetzt?«
»Wenn du mir erlaubst, den Geigerzähler deines Onkels aus deinem Schrank zu holen, werden wir Klarheit haben. Wenigstens für
den Augenblick.«
»Dann setzt du dich ja der Gefahr aus!«
Sein Gesicht blieb unbewegt wie ein Felsblock.
»Ach, weißt du«, sagte er mit der gleichen matten, unbeteiligten Stimme, »unsere Chancen zu überleben sind ohnehin |92| sehr gering. Weder Flora noch Fauna, sehr lange kann das nicht gehen.«
»Leiser«, sagte ich, als ich merkte, daß die Gefährten, ohne sich heranzuwagen, offenbar lauschten.
Ich zog meinen Schrankschlüssel aus der Tasche und übergab ihn wortlos. Mit langsamen Bewegungen zog Thomas seinen Regenmantel
über, setzte seinen Sturzhelm auf und legte seine dicke Fahrbrille und seine Handschuhe an. Er sah in dieser Ausrüstung recht
schreckenerregend aus, denn Regenmantel und Helm waren schwarz.
»Ist das ein Schutz?« fragte ich mit verhaltener Stimme und fuhr mit der Hand über seinen Mantel.
Die Augen hinter den Gläsern blieben düster, doch seine starren Züge lockerten sich ein wenig.
»Es ist immerhin besser als mit nacktem Oberkörper.«
Als er gegangen war, trat Meyssonnier auf mich zu.
»Was will er tun?« fragte er leise.
»Die Radioaktivität messen.«
Meyssonnier blickte mich aus seinen tiefliegenden Augen an. Seine Lippen bebten.
»Meint er, es war eine Bombe?«
»Ja.«
»Und du?«
»Ich auch.«
Meyssonnier atmete schwer und schwieg.
Nur dieses schwere Atmen und dieses Schweigen. Er blinzelte nicht einmal, er hielt den Blick gesenkt. Sein langes Gesicht
war wächsern. Ich warf einen Seitenblick auf Colin und Peyssou. Sie sahen uns an, kamen aber nicht näher. Schwankend zwischen
der Begier zu wissen und der Angst, das Schlimmste zu erfahren, waren sie wie gelähmt. Ihr Gesicht erschien ausdruckslos.
Die Hörer an den Ohren und den Geigerzähler in der Hand, kehrte Thomas zehn Minuten später zurück.
»Negativ im äußeren Burghof. Vorläufig noch«, sagte er kurz angebunden.
Dann kniete er vor Germain nieder und führte den Zähler über den Leichnam.
»Ebenfalls negativ.«
Ich wandte mich unseren Gefährten zu und erklärte gebieterisch: |93| »Thomas und ich steigen auf den Bergfried, um uns ein Bild davon zu machen, was geschehen ist. Alle anderen bleiben hier.
In einigen Minuten sind wir zurück.«
Ich war von den drei übrigen auf Protest gefaßt, doch es kam nichts dergleichen. Sie befanden sich in jenem Zustand von Betäubung,
Niedergeschlagenheit und Verwirrung, in dem jeglicher im Kommandoton gegebene Befehl sofort hingenommen wird. Ich war sicher,
daß sie den Keller nicht
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