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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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zu. Mit recht wenig Lust, scheint mir, macht Thomas auf seinen
     Absätzen kehrt, um ihn zu begleiten. Ich rufe ihn zurück.
    »Ist nicht nötig, Thomas. Du glaubst doch nicht, daß er jetzt davonlaufen wird!«
    Zufrieden, nicht der Gegenwart Miettes beraubt zu sein, kommt Thomas zurück und vertieft sich wieder in ihren Anblick. Ich
     finde seine faszinierte Miene recht dümmlich und vergesse, daß ich vorhin genauso ausgesehen haben muß. Miette hingegen läßt
     ihre prachtvollen Augen nicht von den meinen, oder genauer: von meinen Lippen, an denen sie, sobald ich spreche, jede Bewegung
     zu verfolgen scheint.
    Ich rede weiter. Ich will Klarheit schaffen.
    »Miette, ich möchte dir etwas sagen. In Malevil wird dich niemand zwingen, zu tun, was du nicht willst.« Und da sie nicht
     antwortet, fahre ich fort: »Hast du verstanden?«
    Schweigen.
    »Aber gewiß doch, sie hat verstanden«, sagt die Falvine.
    »Laß sie selber sprechen, Falvine«, sage ich ungeduldig. Die Falvine wendet sich an mich und sagt: »Sie kann dir nicht antworten.
     Sie ist stumm.«

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    Diese Heimkehr nach Malevil bei Einbruch der Nacht! Ich ritt auf der ungesattelten Amarante an der Spitze der Kolonne, hatte
     den Karabiner am Riemen und den Lauf quer über der Brust, während mich Miette von hinten um die Taille faßte, denn sie hatte
     im letzten Moment durch eine ihrer Gesten zu verstehen gegeben, daß sie gern aufsitzen würde. Ich ritt im Schritt, weil Malabar,
     der meiner Stute bis ans Ende der Welt gefolgt wäre, in Trab zu fallen begann, sobald sie zu weit voraus war, und damit das
     Fuhrwerk allzu stürmisch in Bewegung brachte. Es war, außer mit Falvine, Jacquet und Thomas, noch mit einer unglaublichen
     Anhäufung von Matratzen und leicht verderblichen Gütern beladen. Und vor allem: Hinter dem Fuhrwerk trottete an einem Strick
     eine Kuh einher, deren ungeheuer dicker Bauch hin und her schwappte. Die Falvine hatte sie auch nicht für eine einzige Nacht
     im Etang lassen wollen, weil das Tier kurz vor dem Kalben stand.
    Wir nahmen den Weg über das Plateau und über den in Asche liegenden ehemaligen Bauernhof von Cussac, denn es kam mit dem Wagen
     nicht in Frage, für die Abfahrt zu den Rhunes die Mauern aus Feldsteinen zu passieren, die den kleinen Wiesengrund abriegelten.
     Jacquet hatte mir übrigens versichert, daß der Fahrweg zwar länger, aber nicht durch verkohlte Baumstämme verlegt sei; er
     habe ihn schon mehrmals benutzt, wenn er auf Befehl des Vaters, um uns auszuspionieren, bis in nächste Nähe von Malevil vorgedrungen
     war.
    Sobald das Fuhrwerk nicht ohne Schwierigkeit den bis Cussac ansteigenden Hang überwunden hatte, befanden wir uns auf dem geteerten
     Fahrweg, und da die Nacht bereits hereinbrach, fühlte ich mich versucht vorauszureiten, um meine Gefährten in Malevil zu beruhigen.
     Doch als ich sah oder vielmehr hörte, daß sich Malabar hinter Amarante auf der geschotterten Straße in Galopp setzte und die
     Kuh hinter dem Anhänger brüllte, weil das gespannte Halfter sie würgte, hielt ich mein Tier zurück |198| und ließ es wieder im Schritt gehen. Obwohl sich die Falvine gefährlich weit aus dem Wagen beugte und die Kuh mit tröstenden
     Worten überschüttete, brauchte sie lange, um sich von ihrer Aufregung zu erholen. Bemerkt sei, daß sie Marquise hieß, was
     sie in der adeligen Rangliste recht weit unter unsere Princesse stellte. Der Onkel hatte behauptet, zur Zeit der Revolution,
     als man anfing, die ehemaligen Herren zu vertreiben, hätten die kleinen Leute unserer Gegend ihr Vieh zum Spott mit solchen
     Titeln ausgestattet. Nach all dem Bösen, das sie uns angetan, war das wohl auch das mindeste, schloß die Menou. Du wirst es
     nicht glauben, Emmanuel – noch unter Napoleon III. gab es in La Roque einen Grafen, der seinen Kutscher, weil er ungehorsam
     war, gehenkt hat, und er bekam dafür nicht einen einzigen Tag Gefängnis.
    Viel weiter als in die Zeit der Revolution fühlte ich mich zurückversetzt, als ich in der Ferne, von Fackeln beleuchtet, den
     Bergfried der Burg erblickte. Ihn wiederzusehen machte mir das Herz warm. Und ich verstand genau, was der Burgherr des Mittelalters
     empfand, wenn er, nachdem er in der Ferne Krieg geführt hatte, unbeschädigt und siegreich zurückkehrte und Wagenladungen mit
     Beute und Gefangenen in sein Raubnest mitbrachte. Gewiß, es war nicht völlig dasselbe. Ich hatte Miette nicht geschändet,
     und sie war nicht meine Gefangene.

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