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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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bewundere ich im Hintergrund, im Halbschatten der Fackeln, den riesenhaft aufragenden
     Bergfried und vor mir den Torbau mit dem anschließenden Burgwall, auf dem bald Schatten auftauchen, die den Hals zwischen
     den Zinnen durchstecken, die ich aber noch nicht identifizieren kann. Irgend jemand schwingt eine Fackel über der Brüstung.
     Eine Stimme ruft: »Emmanuel, bist du’s?«
    Ich bedauere, keine Steigbügel zu haben. Ich würde mich auf Amarante aufrichten.
    »Ich bin’s! Und Thomas! Wir bringen Gesellschaft mit!«
    Ausrufe. Durcheinanderreden. Ich höre, wie die Flügel des schweren Eichentors mit dumpfem Knarren aufgehen. Die dicken Angeln
     sind gut geölt, nur das Holz beklagt sich, daß es bewegt wird. Ich reite über die Schwelle, ich erkenne den Fackelträger:
     Momo.
    »Momo, schließ das Tor hinter der Kuh!«
    »Emamuel! Emamuel!« ruft Momo in höchster Aufregung.
    »Eine Kuh!« ruft die Menou und lacht vor Entzücken. »Da bringt er uns eine Kuh mit!«
    »Und einen Hengst!« ruft Peyssou.
    Was für einen Helden stelle ich dar! Wieviel Reden um mich her! Ich kann nur schwarze, bewegte Silhouetten sehen. Gesichter
     sind noch nicht zu unterscheiden. Und Bel Amour, die in ihrer Box den Hengst gewittert hat, macht einen Höllenlärm, |201| wiehert aus vollen Nüstern und schlägt mit dem Huf an ihre Pforte, während Malabar und Amarante abwechselnd antworten. Ich
     halte vor der Maternité an, damit Bel Amour sich beruhigt, wenn sie unsere Pferde erblickt. Ob sie die beiden wirklich sehen
     kann, weiß ich nicht, jedenfalls ist sie still. Ich selbst sehe nicht die Hand vor Augen, denn Momo, der Fackelträger, ist
     im Begriff, das schwere Tor zu schließen, und die Menou mit der elektrischen Lampe (sie bedient sich ihrer das erste Mal,
     seit ich sie ihr anvertraut habe) inspiziert am Ende der Kolonne die Kuh. Die Gefährten haben sich um Amarante gesammelt,
     und an dem weißen Verband, mit dem sein Kopf umwickelt ist, erkenne ich jetzt Peyssou. Jemand (Colin, glaube ich, nach der
     Statur zu urteilen) hat die Zügel der Stute ergriffen, und da sie den Kopf senkt, schwinge ich mein rechtes Bein über ihren
     Hals und springe nach Art eines Kunstreiters ab – wie hätte ich es, mit Miette in meinem Rücken, anders machen sollen. Kaum
     auf der Erde, schnappt mich Peyssou und küßt mich ohne jede Scham ab. Genug, hör endlich auf, an mir herumzuschlabbern wie
     eine Schnecke! Gelächter, Heiterkeit, Püffe, Schimpfreden, Rippenstöße. Schließlich fällt mir Miette wieder ein. Ich fasse
     sie um die Taille und hole sie herunter. Sie hat ihr Gewicht! Ich sage: Das ist Miette.
    Inzwischen kommt Momo, die Fackel schwingend, zurück, und aus dem Dunkel taucht mit allen Rundungen und im Strahlenkranz ihres
     schwarzen Haars plötzlich Miette auf. Totenstille. Alle drei wie versteinert vor Staunen. Selbst Momo, dessen Fackel am erhobenen
     Arm zittert. Glänzende, starrende Blicke. Kein anderes Geräusch als Atemholen. Und der Monolog der Menou, die am Ende des
     Zuges mit zärtlichen Worten auf patois die fremde Kuh begrüßt. Ach meine Schöne, ach meine Niedliche, ach meine Dicke, da
     bist du ja, und gleich ist es bei dir soweit, und in Schweiß bist du auch, du Arme, wo sie dich doch haben traben lassen in
     deinem Zustand, mit deinem Kalb, das schon ganz tief unten angelangt ist!
    Da das Schweigen der Gefährten anhält und noch keiner sich gerührt hat, übernehme ich es, einen nach dem andern vorzustellen.
     Das ist Peyssou. Das ist Colin. Das ist Meyssonnier. Das ist Momo. Miette drückt jedem die Hand. Kein Wort fällt. Das starre
     Staunen dauert an. Außer bei Momo, der plötzlich zu tanzen anfängt, »Mémienne! Mémienne!«, und uns dann, seine |202| Fackel schwingend, im Dunkeln zurückläßt, um seine Mutter zu benachrichtigen. Hier ist sie schon. Und da sich Momos Fackel
     mit Momo entfernt hat, man weiß nicht, wohin, vielleicht sieht er sich die Kuh an, richtet die Menou ihre Lampe auf Miette
     und mustert sie von oben bis unten. Die gerundeten Schultern, die gewölbte Brust, die starken Hüften, die kräftigen Beine,
     alles.
    »Na schön!« sagt sie. »Na schön!«
    Und keinen Piep mehr. Miette, die stumm ist, bleibt stumm. Die Gefährten in Stein verwandelt. Und ich spüre an der Art und
     Weise, wie die Menou den Lichtkegel der Lampe auf dem robusten Körper Miettes verweilen läßt, ihre Billigung. Zum mindesten
     was die Rüstigkeit, die Eignung zur Fortpflanzung, die Kraft für

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