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Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Titel: Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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gingen gemeinsam die Straße entlang. Warum die Frau ihren Stand verwaist zurückließ, konnte Jordi sich nicht erklären. Die fauligen Trauben hatte sie einfach auf den Boden fallen lassen.
    Am Ende der Gasse blieben die beiden lange stehen, betrachteten eingehend jeden Passanten, schienen Witterung aufzunehmen. Ja, genauso sah es aus. Die beiden kamen dem Jungen vor wie frisch abgerichtete Bluthunde, die auf eine Fährte angesetzt worden waren. Sie sind dunkler als vorhin, dachte Jordi und wusste nicht einmal, was genau er damit meinte.
    Er fröstelte. In den fünfzehn Jahren seines Lebens hatte er noch nie etwas so Furchteinflößendes gesehen und ihm wurde klar, dass er von nun an in einer Stadt auf sich allein gestellt war, in der etwas vor sich ging, dessen Bedeutung er noch längst nicht erfasst hatte.
    Er schüttelte den Kopf, wie um die Bilder zu vertreiben, und blickte sich nach allen Seiten um. Eine alte Frau stand neben dem Zeitungsladen und drohte dem mürrischen Besitzer mit ihrem Stock. Der Mann sah auf einmal ganz kleinlaut aus.
    Jordi musste grinsen.
    Nein, er würde sich keine Angst mehr einjagen lassen. Das war es, was er ein für alle Mal hinter sich gelassen hatte. Es mochte Zufall sein, dass er auf den zweiten Harlekin-Mann getroffen war. Und auch die Galeone, die am Hafen lag, mochte nicht von Bedeutung sein.
    Dagegen war sehr wohl von Bedeutung, dass er, Jordi Marí, von nun an in Barcelona leben würde, das gerade zu singen begann. Alles, was er tun musste, war, den Liedern zu lauschen und tanzen zu lernen. Denn was immer da auch kommen mochte – Jordi war endlich frei.

Die Flucht
    Der erste Gedanke, der Catalina Soleado durch den Kopf schoss, als der Eindringling mit der Harlekin-Maske im Türrahmen stand, galt ihrer Flucht. Der zweite galt dem alten Kartenmacher, den sie unter gar keinen Umständen in der Windmühle würde zurücklassen können. Sie starrte den Eindringling an und alles in ihr erschauderte. Nie zuvor hatte sie derartige Furcht empfunden. Ein Kaninchen musste sich so fühlen, wenn es dem Fuchs ins Antlitz schaut. Es war die Angst der Beute vor dem Jäger.
    In den Augenschlitzen der schwarz-weißen Maske mit dem rot geschminkten Grinsen war nur allertiefste Nachtschwärze zu erkennen – und dieser Erkenntnis folgte dann auch gleich der dritte Gedanke, der tief in ihr etwas auslöste, das man als kreischend kopflose, zähneknirschende Panik hätte bezeichnen können.
    Dahinter ist nichts, dachte Catalina und konnte den Blick kaum mehr von den Augenschlitzen lösen. Hinter der Maske befindet sich rein gar nichts; nichts, nur Dunkelheit. Ja, das ist es, was das breite Grinsen verbirgt.
    Aber war das eine Erklärung?
    Mitnichten!
    Ein Schatten war in die Windmühle gekommen, um die Hexentochter mit sich zu nehmen. Sie erinnerte sich an die Worte des alten Kartenmachers. An die Zeichnung mit dem schwarzen Schiff, das über den Wassern schwebte.
    Was, in aller Welt, ging hier nur vor?
    Der alte Márquez hatte sich von seinem Platz erhoben. »Wie könnt Ihr es wagen, in mein Haus einzudringen?«, herrschte er den Eindringling an. »Gebt Euch wenigstens zu erkennen und tragt Euer Anliegen vor!« Er griff sich einen langen Schürhaken, der neben dem Ofen lag, und trat forschen Schrittes auf den Mann mit der Harlekin-Maske zu.
    Dieser wiederum tat etwas, womit weder der alte Kartenmacher noch das Mädchen gerechnet hatte.
    Er zischte. Wie eine Schlange, so hörte es sich an, nur kälter.
    Catalina ging einen Schritt rückwärts.
    Stolperte.
    Erschrocken schrie sie auf, als der Fremde seinen Fuß über die Schwelle setzte. Flink und geschmeidig waren die Bewegungen der Kreatur, die, davon war Catalina überzeugt, nie und nimmer ein Mensch sein konnte. Sie hatte schon oft Menschen mit Masken gesehen. Und so klein und eng die Augenschlitze auch gewesen waren, es waren doch immer noch Augen dahinter zu erkennen gewesen.
    Aber dieses Ding hatte keine Augen. Jeder Zweifel war ausgeschlossen. Blieb die Frage, was es war.
    Es ist Dunkelheit, wisperte eine düstere Vorahnung, die tief in ihr verborgen war. Ein Schatten.
    Sie stand auf und rannte auf den alten Kartenmacher zu, der sich mit hoch erhobenem Schürhaken dem Wesen entgegenstellte.
    Der Harlekin-Mann blieb einen Augenblick lang stehen und betrachtete den Raum. Für einen ganz kurzen Moment hatte Catalina das Gefühl, als würde Dunkelheit aus den Augenschlitzen heraustropfen. Sie warf dem alten Márquez einen raschen Seitenblick

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