Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Titel: Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
ein Teil des Kanals aufgelöst. Wasserfluten schossen in das riesige Loch.
    »Oh.« Jordi starrte in die Tiefe.
    »Ich habe dir gesagt, dass ich das nicht kann«, sagte Catalina betrübt und betrachtete den Schlamassel.
    Hinter ihnen schlugen die Schattenaugenmenschen immer noch nach den Wörtern. Sie schienen gar nicht wahrzunehmen, was um sie herum vorging, sondern hieben nur stoisch nach ihren Angreifern. Die Reihen der Buchstaben lichteten sich sichtlich.
    »Wir müssen da runter, irgendwie.« Jordi lugte hinter dem Tisch hervor. »Die Wörter werden sie uns nicht ewig vom Leib halten.«
    Catalina kniete sich erneut vor die Zeichnung. Die Linie, die den Kanal und die gegenüberliegende Häuserfront verändert hatte, war nur sehr grob ausgeführt. Ihre Hand hatte gezittert, deswegen.
    Sie schaute zu dem Loch, das in der Wand klaffte. Dann wieder zurück zum Tisch.
    Jordi sprang auf und aus den Augenwinkeln heraus nahm sie wahr, dass er einem der Schattenaugenmenschen, der sich ihr näherte, eine Weinflasche über den Schädel schlug. Sie hörte das Glas splittern und die Kreatur laut aufstöhnen. Dann malte sie eine neue Linie. Sie konnte die alten Konturen nicht löschen und fragte sich, ob man das überhaupt je konnte.
    Firnis beobachtete sie. Inmitten seiner Buchstaben stand er und ihrer beider Blicke begegneten sich.
    Er weiß, dass ich es tun kann. Er weiß es und er ahnt, was ich vorhabe.
    Es gab keinen anderen Weg. Die Schattenaugenmenschen waren überall. Es war ihre einzige Möglichkeit, lebendig hier herauszukommen.
    »Es tut mir leid«, formten ihre Lippen die Worte.
    In den Augen des Bibliothekars standen Tränen. Sie glitzerten im gleißenden Sonnenlicht.
    Schwer lag der Bleistift in ihrer Hand.
    Firnis nickte ihr zu.
    Und Catalina malte.
    Diesmal war es mehr als nur ein Strich. Sie bemerkte, dass Jordi neben ihr kniete und ihrer Hand folgte, die schnelle Kreise beschrieb, neue Linien zauberte und die Welt um sie herum erzittern ließ.
    Das Haus der Nadeln wurde von der Landkarte gefegt wie einst die tote Stadt namens Madrid.
    Die Wände lösten sich im Bruchteil eines Fingerschnippens auf. Die Küchentür war fort, als sei sie niemals dort gewesen. Bücher stürzten in den Kanal und die hohen Spitztürme knickten ein wie Strohhalme. Der Küchenboden blieb erhalten, darauf hatte Catalina geachtet und inständig gehofft, die richtigen Linien gezeichnet zu haben. Ein kleiner Fehler nur, und…
    Aber darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken. Nein, sie wollte überhaupt nicht mehr nachdenken.
    Sie kniete neben Jordi im Sonnenlicht und die Hitze des Tages bedeckte ihre Gesichter. Das Dach über ihnen war verschwunden.
    Von den Harlekins war keine Spur zu sehen. Pérez und Reverte waren in die Tiefe gestürzt. Die Schattenaugenmenschen waren, wie auch viele der Bücher, in den Trümmern begraben.
    Firnis stand noch da. Er hielt sich die Hände vor den Mund und weinte in stiller, stiller Verzweiflung.
    Es brach Catalina das Herz, ihn so zu sehen. Jetzt erst verstand sie, was sie zu tun imstande war. Sie war als Gast in diesem Haus willkommen gewesen und nun hatte sie es zerstört.
    »Es tut mir leid«, flüsterte sie nur.
    Langsam stand sie auf. Die Zeit schien stillzustehen, mit einem Mal.
    Jordi war ganz dicht neben ihr. Er sagte etwas und sie glaubte, dass er sich an Firnis gewandt hatte, denn der Bibliothekar erwiderte etwas. Die Worte verstand sie nicht. Alles war so weit entfernt, wich einer überwältigenden Einsamkeit, die sie an der Kehle gepackt hielt und sie würgte.
    Doch dann berührte Jordis Handrücken für einen winzig kleinen Moment den ihren. Die kurze zufällige Berührung war wie Worte, die keiner von ihnen beiden bisher ausgesprochen hatte.
    Er nahm sie an die Hand, bestimmt und drängend, und zog sie mit sich. Hinaus ins Sonnenlicht und fort von diesem Ort, der nie mehr sein würde, wie er einst gewesen war.

Aquamarin
    Sie rannten, bis ihnen die Luft in den Lungen brannte.
    Über Hinterhofmauern kletterten sie, stießen sich an Wänden ab, stolperten Treppen hinunter. Sie schlugen Haken und rannten und rannten und rannten und rannten. Catalina schaute nicht zurück.
    Sie sah nur Jordi, der sie unerbittlich hinter sich herzog, selbst als ihr die Puste ausging.
    »Bleib nicht stehen«, hielt er sie immer wieder an. »Schneller! Duck dich! Pass auf!«
    Nach einer Weile verlor Catalina die Orientierung. Sie lief einfach nur noch vorwärts. Die Sonne brannte heiß auf sie herunter und zum

Weitere Kostenlose Bücher