Malice - Du entkommst ihm nicht
Menagerie versteckt lag.
Justin folgte Seths Zeigefinger. Die Decke der riesigen Halle, in der die Menagerie aufgebaut war, lag hoch über ihnen. Treppen und Paternoster führten zu gewaltigen Plattformen, die über Träger in der Wand verankert oder an Stahlseilen aufgehängt waren. Dort oben waren weitere, vom Zeithüter erschaffene Attraktionen ausgestellt und dazwischen glitten die großen geflügelten Wesen durch die Luft, auf die Seth erstaunt deutete.
»Metallgeier«, sagte Justin.
»Was? Das sind mechanische Vögel? Aber die müssten doch viel zu schwer sein, um sich nur durch Flügelschläge in der Luft zu halten. Das widerspricht allen Gesetzen der Schwerkraft.«
»Hast du schon vergessen, was ich dir gesagt hab?«
Es dauerte einen Moment, bis Seth kapierte, worauf Justin hinauswollte, dann grinste er und sagte kopfschüttelnd: »Vergiss einfach alles, was du bis jetzt zu wissen glaubtest?«
»Genau.«
Seth beobachtete die Vögel. »Ich war sowieso immer der Meinung, dass das Gesetz der Schwerkraft überbewertet wird.«
»Da.« Colm deutete nach oben. »Der Aufgang. Siehst du ihn?«
Seth entdeckte eine dünne, goldene Säule, die von einer der Plattformen ausgehend senkrecht zur Decke führte.
»Da müssen wir hin«, verkündete Justin. »Da drin ist die Treppe, die zum Uhrenturm hinaufführt.«
Allmählich bekam Seth eine etwas klarere Vorstellung von der Domäne, in der sie sich aufhielten. Auf der untersten Ebene befanden sich der Bahnhof und die Wartungskorridore. Darüber lag die riesige Menagerie und dann erst kam der eigentliche Turm, in dem das Uhrwerk untergebracht war. Dort oben lebte auch der Zeithüter.
»Und wofür sind die da?« Er zeigte auf mehrere große runde Öffnungen in der Decke, die in glänzende Metallröhren mündeten.
»Das sind die Röhren, durch die sich der Zeithüter zwischen den Ebenen hin und her bewegt«, erklärte Justin. »Wenn er ein neues Spielzeug gebastelt hat, muss er es ja irgendwie hier runter in die Menagerie schaffen. Für die Wartungskorridore und die Aufzüge ist er zu groß, er würde darin stecken bleiben. Deswegen hat er sich ja die Zischler gebaut. Unter anderem.«
Justin hatte Seth alles über den Zeithüter erzählt. Seth hatte nie besonders viel Fantasie gehabt, aber das Bild, das nach Justins Beschreibungen in seinem Kopf entstanden war, trug nicht gerade zu seiner Beruhigung bei.
»Okay, Leute. Genug geplaudert. Ich schlage vor, dass wir jetzt weitergehen.« Colm hob das Bleirohr, das er mitgenommen hatte. Er hatte es an einem Ende so geschärft, dass es einer Speerspitze glich. Justin trug eine ähnliche Waffe bei sich, während Seth wieder den Schraubenschlüssel mitgenommen hatte. Es waren klägliche Waffen, um sich gegen die Monster zu verteidigen, denen sie möglicherweise begegnen würden, aber etwas Besseres besaßen sie nun einmal nicht.
Die drei Jungen schlichen sich so geräuschlos wie möglich um das Zelt herum in die Menagerie. Seth hatte das Gefühl, mitten auf einem Rummelplatz gelandet zu sein. Das Einzige, was fehlte, waren die menschlichen Besucher. Zwischen den einzelnen Attraktionen und Fahrgeschäften verliefen schmale Pfade, alle paar Meter luden kleine Pagoden und Pavillons zum Ausruhen ein. Aus zahlreichen Trinkbrunnen sprudelte Wasser. Klares Wasse r – nicht die brackige Brühe, die sie unten in Eimern auffingen, indem sie sie unter tropfende Leitungsrohre stellten.
»Trink das lieber nicht«, warnte Justin, als er sah, wie sehnsüchtig Seth einen der Brunnen betrachtete.
»Ist es giftig?«
»Das weiß niemand«, sagte Justin. »Aber bis jetzt hat es auch niemand freiwillig gekostet.«
Alles in der Menagerie war in Bewegung. Überall wirbelte und kreiselte es, Gesichter gähnten mit weit aufgerissenen Mündern oder lachten schallend, Figuren fuhren auf Schienen vor und zurück oder tauchten überraschend hinter versteckten Türchen auf, um auf eine Glocke zu schlagen. Seth fand dieses mechanische Wunderland unglaublich faszinierend, aber gleichzeitig jagte es ihm auch eine Gänsehaut über den Rücken. Die Figuren hatten alle etwas Bedrohliches an sich, sogar wenn sie lächelten. Viele wirkten bösartig oder hinterhältig, manche schlicht einschüchternd.
Und dann war da noch die Musik, die aus den Karussellen tönte und ständig im Hintergrund dudelte. Die Lieder klangen alle leicht verzerrt und unmelodisch und vermischten sich zu miteinander wetteifernden Misstönen, von denen er Kopfschmerzen bekam.
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