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Malka Mai

Malka Mai

Titel: Malka Mai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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für die der deutsche Offizier einmal auf der Geige gespielt hatte und die jetzt in Ungarn war, weit weg von Lawoczne und noch weiter weg von Skole.
    Frau Doktor Mai und ihre Tochter Minna waren in Ungarn, sie, Malka, war in Polen und in Polen war es besser, an Teresa zu denken. An Teresa dachte sie gern, auch wenn ihr die Sehnsucht oft Tränen in die Augen trieb. Teresa.
    Manchmal dachte sie auch an Frau Kowalska, die in den Bergen wohnte, auf dem Weg zur ungarischen Grenze, vor allem dann, wenn es kalt war und sie den grauen Pullover über Kleid und Jacke trug. Er roch übrigens nicht mehr nach Mottenkugeln. Das tat Malka Leid und manchmal schnüffelte sie lange an den Ärmeln, um noch einen Rest des Geruchs wahrzunehmen. Er war ihr lieb geworden, weil er sie auf unerklärliche Weise mit Frau Kowalska verbunden hatte.
    Wenn sie abends auf ihrer Matratze lag und sich mit Liesel fest in die Wolldecke wickelte, die Frau Goldfaden ihr gegeben hatte, so fest, dass noch nicht mal ein Finger oder ein Zeh herausschaute, weil sie am Plumpsklo hinter dem Haus Ratten gesehen hatte, stellte sie sich manchmal vor, wie sie zu Frau Kowalska gehen würde, weil sie zu Teresa nicht gehen durfte.
    In Gedanken lief sie durch Wälder und über Wiesen, sah Bäume an sich vorbeiziehen, als würde sie tatsächlich durch den Wald laufen, sie sah Gestrüpp und Himbeerbüsche mit roten Früchten, die aus den grünen Blättern hervorleuchteten, und war böse auf sich, weil sie sich den Weg nicht gemerkt hatte, den der Ukrainer sie von Kalne aus geführt hatte. Warum hatte sie sich benommen wie ein dummes Kind und war einfach hinterhergelaufen? Dann schob sie den Gedanken zur Seite, sie würde noch nicht einmal den Weg von hier nach Lawoczne finden. Sie wusste nur, wie man von Lawoczne nach Kalne kam, zum Bauern Sawkowicz und seiner Frau. Den Weg zu Teresa hätte sie ganz bestimmt gefunden, wenn es möglich gewesen wäre, aber sie war ja eine Gefahr für Antek.
    Unruhe breitete sich im Ghetto aus, Malka spürte es mehr, als dass sie es verstand. Sie fühlte die Angst als Surren im Kopf, als Zittern der Nasenflügel. Sie konnte die Angst riechen, die sich wie giftiger Dunst über das Ghetto legte und die Straßen füllte. Angst sprach aus den Augen und den Stimmen der Menschen und ließ die einen lauter und hektischer werden, die anderen starr und still. Eine Aktion, hieß es, alle Anzeichen sprächen für eine bevorstehende Aktion. Tatsächlich waren öfter bewaffnete Deutsche im Ghetto zu sehen, zu Fuß und mit Hunden oder mit Autos. Dann verschwanden alle Juden in ihren Häusern und es wurde so still, dass die Motoren dröhnten und man die Stiefel der Deutschen auf das Pflaster knallen hörte. Aber die Menschen, die Arbeit hatten, gingen noch immer morgens weg und kamen abends wieder, nur ihre Gesichter waren ernster und angespannter als früher.
    Malka roch die Angst und spürte, wie die Unruhe auf sie übergriff. Sie fragte Jankel, den Sohn der Goldfadens, was sie tun würden, wenn tatsächlich eine Aktion käme.
    Er legte den Finger auf den Mund und führte sie ins Schlafzimmer. Vor dem Kleiderschrank, der eigentlich viel zu groß für den kleinen Raum war, in dem alle fünf Goldfadens schliefen, blieb er stehen, machte die beiden großen Doppeltüren auf, schob mit der Hand ein paar Mäntel und Kleidungsstücke zur Seite, die da hingen, und deutete auf den Boden.
    »Das Brett kann man hochheben«, flüsterte er. »Darunter hat mein Vater ein Versteck in die Erde gegraben. Bei der letzten Aktion waren wir zwei Tage drin.« Er verdrehte die Augen. »Es ist furchtbar eng und eklig und dunkel da unten. Es können nur immer zwei liegen, deshalb wechseln wir ab. Sonst sitzt man nur da und darf kein Wort sagen, damit man sich nicht verrät. Hinter der Schlafzimmerwand, in den Brennnesseln, guckt ein Rohr aus der Erde, dadurch bekommen wir Luft. Aber es ist wirklich schrecklich.« Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse und schnaufte. »Und jetzt komm, sie sollen nicht wissen, dass ich es dir gezeigt habe.« Mit »sie« meinte er seine Schwestern, die draußen im Hof Wäsche wuschen und jetzt nach Malka und Jankel riefen, weil die Eimer leer waren und sie frisches Wasser brauchten.
    Am nächsten Tag fand die Aktion statt, früh am Morgen fuhren Autos mit Lautsprechern durch das Ghetto und dröhnende Stimmen befahlen, dass heute alle zu Hause zu bleiben hätten, auch die Arbeitskolonnen. Die Goldfadens liefen herum, suchten Essen zusammen und

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