Malka Mai
schnürten ihre Decken zu festen Rollen. Malka stand daneben und schaute zu.
»Wir können dich nicht mitnehmen«, sagte Frau Goldfaden schnell, ohne sie dabei anzuschauen. »Du musst das verstehen, der Platz reicht nicht und das Essen auch nicht. Geh raus, hörst du, geh raus und versteck dich irgendwo.«
Und Esther, ihre älteste Tochter, sagte: »Du fällst mit deinen blonden Haaren auch viel weniger auf als wir.«
Malka schob die Hand in die Tasche und umklammerte Liesel. Sie schaute von einem zum anderen, doch alle drehten die Köpfe zur Seite, als Esther sie an den Schultern nahm und aus der Haustür schob.
Die Gasse war menschenleer, die Hauptstraße auch. Malka schlich dicht an den Häusern entlang Richtung Brunnen. Manchmal hörte sie ein Auto kommen, dann verschwand sie schnell in einem Hof und kam erst wieder heraus, wenn das Auto vorbei war. Dann waren irgendwo Schreie zu hören, Schüsse, Hundegebell und auf einmal auch die Schritte von vielen Stiefeln.
Malka stand an eine Hauswand gedrückt und wusste nicht mehr weiter. Gerade als sie in einen Hof laufen wollte, in der Hoffnung, dort ein Versteck zu finden, entdeckte sie ein offenes Kellerfenster, ganz unten am Haus, direkt über der Straße. Es war klein, sie musste sich rückwärts hineinquetschen, ihre Füße landeten auf einer Schräge, sie ließ sich hinunterrutschen.
Erst als sie unten stand, sah sie, dass sie sich in einem kleinen Kellerverschlag mit Bretterwänden befand und dass die Schräge, auf der sie heruntergerutscht war, eine Holzrinne war, wie man sie benutzte, um Kohlen in einen Keller zu füllen. Kohlen waren nicht mehr in dem Verschlag, aber der Geruch nach Kohlenstaub hing in der Luft und in einer Ecke lagen ein paar leere Säcke. Es war sehr still hier unten. Nur die Stiefel der Deutschen waren zu hören, die immer näher kamen.
Sie stellte sich neben das Fenster und schaute hinaus. Es waren viele Deutsche und sie hatten Hunde dabei. Malka ließ sich fallen, kroch in die Ecke und zog die leeren Säcke über sich. Schüsse knallten, sie hielt sich die Ohren zu. Auf einmal klang alles gedämpfter und viel weiter weg. Erst als sie fast nichts mehr hörte, stand sie auf und ging wieder zum Fenster. Die Stiefel waren verschwunden. Vorsichtig schob sie den Kopf hinaus und sah, dass Menschen in Richtung Brunnen getrieben wurden, bewacht von bewaffneten deutschen Soldaten, die ab und zu in die Luft schossen, und bewacht von den Hunden.
Malka zog sich wieder in die Ecke zurück. Sie wagte kaum zu atmen. Starr und steif hockte sie da, sie hatte jedes Gefühl verloren, auch das für Zeit. Irgendwann wurde es ruhig. Sie wartete lange, erst als es ganz still war, kroch sie aus dem Keller hinaus. Ihre Hände waren schwarz geworden, auch ihre Jacke hatte schwarze Flecken bekommen und der Saum ihres Kleides war aufgerissen und hing herunter, eine Schnur von ihren Fußlappen war aufgegangen. Sie bückte sich und band sie wieder fest.
Ein Mann rannte an ihr vorbei, sie meinte, einen der Bettler zu erkennen, die immer am Brunnen saßen, er rief ihr zu: »Geh auf die arische Seite, Mädchen, los, lauf.«
Ohne nachzudenken, rannte sie los, die Straße entlang, die aus dem Ghetto zum angrenzenden arischen Viertel führte. Es war eine breite Straße, die eine andere, noch breitere Straße kreuzte. Malka sah eine Gruppe Juden, die ihr entgegenkamen, begleitet von deutschen Soldaten mit dem Gewehr im Anschlag. Sie schaute schnell weg und lief quer über die Kreuzung zur anderen Seite. Plötzlich hörte sie Schüsse und drehte sich um. Die Juden hoben die Arme und fielen auf die Straße, einfach so, lautlos wie Stoffpuppen, nur das Rattern der Maschinengewehre war zu hören. Panik ergriff sie. Nicht weit von hier war eine Kirche, sie konnte den Kirchturm sehen. Sie rannte, bis sie die Kirche erreicht hatte, stolperte die Steinstufen hinauf und warf sich gegen die Tür.
In der Kirche war es dunkel, ein Priester stand am Altar und predigte, in den ersten Bänken saßen Gottesdienstbesucher. Malka wusste, wie man ein Kreuz schlug, sie konnte sogar das Gegrüßet-seist-du-Maria auswendig, das hatten ihr die früheren Dienstmädchen beigebracht, die sie oft mitgenommen hatten in die Kirche. Sie machte einen Knicks neben einer Bank, schlug ein Kreuz und setzte sich hin. Sie zitterte am ganzen Körper und glaubte, alle Leute in der Kirche müssten hören, wie laut ihr Herz klopfte.
Jetzt erst, in der Ruhe, die nur von der tiefen Stimme des Priesters
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