Malka Mai
kreischend herumlief. Die Hühner flatterten aufgescheucht umher, gegen den Zaun, gegen den Verschlag, aber schließlich waren sie alle darin. Marek schloss das Loch, durch das sie geschlüpft waren, mit einer Klappe. In einem weiteren Stall grunzten und schnüffelten zwei Schweine. Außerdem gab es noch einen großen, schwarzen Kater. Manchmal strich er träge ein paar Mal um Malkas Beine, dann war er wieder verschwunden.
Teresa zeigte Malka, wie man die Ziege molk, sie wuschen zusammen Wäsche am nahen Bach, sie sammelten Pilze im Wald und Teresa staunte, wie gut Malka sich auskannte. Sie kochten zusammen und Malka hatte das Gefühl, schon sehr lange hier zu sein. Von Tag zu Tag fühlte sie sich wohler. Sie mochte alle, besonders Antek, aber am meisten liebte sie Teresa.
Alles ging gut, bis zu dem Abend, als Zygmunt bedrückt nach Hause kam und sagte, er müsse Malka wegbringen, die Leute in Lawoczne hätten Wind davon bekommen, dass sie hier bei ihnen sei, und das wäre zu gefährlich für seine Familie. Malka merkte, wie sie ganz steif wurde, und als Teresa sie in den Arm nahm, fing sie an zu weinen.
»Ich kann’s nicht ändern«, sagte Zygmunt. »Die Deutschen haben von mir verlangt, dass ich sie wegbringe. Juden sind Juden, haben sie gesagt, auch Kinder, und es dürfe sich nicht herumsprechen, dass sie bei der Kleinen eine Ausnahme gemacht haben. Schneider hat selbst mit mir gesprochen. Und wir können uns nichts erlauben, wegen Antek, du weißt ja, was sie mit Kindern wie Antek machen.«
»Du könntest sie in den Wald bringen«, sagte Teresa, »zu meiner Schwester und ihrer Familie.«
Zygmunt schüttelte den Kopf. »Auf diese Idee könnten die Deutschen ebenfalls kommen, sie brauchen nur lange genug zu fragen. Nein, ich bringe sie nach Skole, ins Ghetto 10) . Ich kenne dort eine jüdische Familie, die werden sie bestimmt aufnehmen. Sie müssen es tun, ich habe dem Mann aus einer blöden Geschichte herausgeholfen, er ist mir noch was schuldig.«
10) Ghetto: Seit dem Mittelalter Bezeichnung für ein geschlossenes jüdisches Wohngebiet. Mit der Erlangung der Bürgerrechte im 19. Jhd. entfiel für europäische Juden der Ghettozwang. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden die Juden erneut gezwungen, in »Judenvierteln« zu leben.
»Und wann?«, fragte Teresa.
Er antwortete: »Noch heute Nacht. Nach dem Abendessen fahren wir los.«
Malka brachte fast keinen Bissen hinunter beim Abendessen. Teresa hatte rote Augen und Marek und Julek guckten Malka an, ohne etwas zu sagen. Nur Antek lachte und strahlte, als Malka ihn zum Abschied küsste. Er war etwas Besonderes, aber er verstand nicht, dass Malka Angst hatte, große Angst. Als sie wieder auf dem Fahrrad mit den Holzreifen saß, griff sie in ihre Jackentasche und hielt Liesel ganz fest. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie während der ganzen Zeit im Haus am Waldrand nicht mit der Puppe gespielt hatte.
Ihr Führer hatte sie in eine Scheune gebracht und wollte in das Dorf gehen, um etwas zu Essen zu besorgen. Mendel Frischman bat ihn, einen Bekannten seines Vaters aufzusuchen, einen gewissen Hersch Rapaport, der hier in der Nähe wohnte und von dem er lange nichts gehört hatte. Hungrig und müde saßen sie im Stroh, eng aneinander gedrückt, um sich nach der kalten Nacht ein bisschen zu wärmen, und warteten. Minna hatte den Kopf auf Hannas Schoß gelegt und schlief. Hanna streichelte die Haare ihrer großen Tochter, braune Haare, und dachte an die blonden ihrer kleinen.
Sie war in einen seltsamen, geistesabwesenden Zustand geraten, einem Automaten ähnlicher als einem Menschen, wie der Affe zum Aufziehen, den Issi bei einem seiner Besuche für Minna mitgebracht hatte, die damals noch klein gewesen war. Malka war noch nicht auf der Welt gewesen. Still und bewegungslos hatte das Blechtier auf dem Tisch gestanden, in einem gemalten Anzug, eine Trommel um den Bauch und Stöcke in den Händen. Aber wenn man ihn aufgezogen hatte, hatte er sich bewegt, er hatte getrommelt und die Bewegung seiner Arme hatte dazu geführt, dass er langsam über die Tischplatte gerutscht war.
Der Führer kam zurück, ohne Essen, stattdessen mit einer Einladung zu Hersch Rapaport. Der Herr würde sich freuen, die Gruppe in seinem Haus empfangen zu dürfen, sagte er. Wörtlich. Die Flüchtlinge schauten einander an, verblüfft, ungläubig, es waren Worte aus einer anderen Welt, einer, die sie längst hinter sich gelassen hatten.
»Es könnte eine Falle sein«, sagte Herr Wajs,
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