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Malka Mai

Malka Mai

Titel: Malka Mai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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aber seine Frau schüttelte den Kopf und rief: »Ein Bett! Ein richtiges Bett, mit Matratze und Laken und allem, was dazugehört.« Tränen liefen ihr über das Gesicht, ihr Mann nahm ihre Hand und drückte sie.
    Sie brauchten nicht lange zu beraten, allen stand die Sehnsucht nach einem richtigen Zimmer und einem richtigen Bett und einer Mahlzeit an einem Tisch ins Gesicht geschrieben. Minna, auf Hannas Schoß, machte die Augen auf und sagte: »Und eine Badewanne.« Vermutlich hatte sie gar nicht geschlafen.
    Ruben lächelte sie an und Hanna sagte: »Vielleicht.«
    Der Führer brachte sie, immer zwei, drei Leute auf einmal, zu der Villa von Hersch Rapaport, die zum Glück am Dorfrand stand, so dass man sie einigermaßen unauffällig erreichen konnte. Der Hausherr und seine Frau, zwei würdige alte Herrschaften, standen an der Tür und nahmen sie in Empfang, auf eine rührend altmodische Art feierlich und ehrerbietig. Sie waren so sauber und gepflegt, dass Hanna sich unwillkürlich duckte, so schmutzig und armselig fand sie sich. Auch die anderen sahen nicht besser aus und sie schienen es ebenfalls zu merken, denn sie benahmen sich verlegen, fast tölpelhaft, als wüssten sie auf einmal nicht mehr, wie man sich die Schuhe abtrat und wie man sich in einem richtigen Haus bewegte.
    Sie wuschen sich nur die Hände, dann setzten sie sich schmutzig und zerlumpt, wie sie waren, an einen reich gedeckten Frühstückstisch und fingen an zu essen, erst zaghaft und ungläubig, dann immer ausgelassener. »Hering«, stöhnte Frau Frischman, »wie lange habe ich schon keinen Hering mehr gegessen«, und ihr Gastgeber und seine Frau forderten sie immer wieder zum Zugreifen auf. Dann wurden sie in den oberen Stock des Hauses geführt, wo inzwischen Zimmer hergerichtet worden waren. Hanna und Minna bekamen ein Zimmer mit einem eigenen Bad und ein Dienstmädchen brachte heißes Wasser aus der Küche. »Unterhosen waschen«, sagte Hanna zu Minna. »Wir müssen unbedingt unsere Unterhosen waschen.«
    Beide zusammen stiegen sie in die Wanne. Das hatten sie früher nie gemacht, Hanna hätte es auch nie für möglich gehalten, dass sie sich einmal vor ihrer Tochter ausziehen würde, aber die Tage der Flucht hatten offenbar ihr Schamgefühl schwinden lassen. Das Wasser war warm, ihre Muskeln entspannten sich, und plötzlich fing Minna an zu weinen, als würde sich auch ihre Seele entspannen. Sie weinte hemmungslos, wie ein kleines Kind, und Hanna hielt sie im Arm und wusste nicht, was sie tun sollte. Am liebsten hätte sie mitgeweint, aber sie war die Mutter, sie musste stark sein und das Kind trösten. Doch es gab keinen Trost, dies hier war nicht ihre Welt, ihre Welt war nie so gewesen, und auch das, was sie gehabt hatten, war verloren und sie waren zu Landstreichern geworden.
    Zwei Tage blieben sie in der prachtvollen Villa mit den geschnitzten Möbeln, den dicken Teppichen und den Brokatvorhängen. Zwei Tage, in denen sie nur aßen und schliefen und versuchten, sich wie zivilisierte Menschen zu verhalten. Gleich am ersten Tag hatte Hanna sich Jod bringen lassen, hatte eine Pinzette und eine kleine Schere ausgekocht und die Blasen an den Füßen ihrer Mitflüchtlinge behandelt. Sie hatte die abgestorbene Haut entfernt, damit sich keine Bakterien darunter festsetzen konnten, und die Wunden gereinigt. Frau Wajs weinte, als sie ihr eine eiternde Blase am rechten Fuß aufschnitt.
    Am letzten Abend, bevor sie weiterzogen, sprachen sie mit ihren Gastgebern beim Abendessen über die Lage der polnischen Juden und Hanna wurde plötzlich wütend, sie wusste selbst nicht, was sie so aufbrachte. Vielleicht war es der offensichtliche Reichtum der Rapaports, ihre Unberührtheit von all dem Unheil, das über die Juden Europas hereingebrochen war. Sie sah Frau Wajs, die mit gesenktem Kopf dasaß und doch einmal reich gewesen war, sie sah Frau Frischman, die sich während der letzten Tage rührend um ihre Schwester gekümmert hatte, sie sah die Männer, die angesehene Mitglieder ihrer Gemeinde gewesen waren und jetzt, in dieser Umgebung, geduckt und armselig wirkten. Wie wir auch, dachte Hanna. Sie sah ihre ungepflegten, rissigen Hände, die das Besteck hielten, sie sah auf dem Platz neben ihr Minnas Hände, die mit Messer und Gabel ein Stück Fleisch zerteilten, betont langsam, um ihre Gier zu verbergen. Und auf einmal empfand sie großes Mitleid mit ihren Mitflüchtlingen, mit ihrer Tochter Minna, mit sich selbst. Und mit ihrer Tochter Malka, die irgendwo

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