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Malka Mai

Malka Mai

Titel: Malka Mai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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gerade mit ihren Stoffbeinen in den bunten Wollsocken auf der Straße von Skole nach Lawoczne. Nicht müde werden, Liesel, flüsterte Malka. Lauf weiter, Liesel. Manchmal triffst du einen Bach, dann musst du trinken. Trinken ist wichtiger als Essen, Liesel, das hat die Frau Doktor immer gesagt. Vielleicht findest du auch Brombeeren, dann musst du essen. Vergiss nicht, zu essen. Ich glaube, es gibt noch Brombeeren, Liesel, Himbeeren gibt’s bestimmt nicht mehr. Von Brombeeren bekommst du einen dunkelroten Mund, aber sie schmecken gut. Bei Pilzen musst du aufpassen. Die ganz weißen mit der gezackten Schleife um den Bauch darfst du nicht essen, die sind giftig. Aber das weißt du ja, du weißt genauso gut wie ich, welche Pilze man essen darf. Lauf, Liesel, lauf. Bald bist du in Lawoczne. Heute oder morgen oder übermorgen. Du findest das Haus, in dem Veronika wohnt. Dort bist du in Sicherheit, dort ist alles sauber. Dort hast du ein eigenes Bett und kannst warm und gemütlich schlafen. Dort gibt es genug zu essen. Dort spricht man Deutsch.
    Endlich kamen sie in Munkatsch an . Ihr Versteck war in einer kleinen, nicht mehr benutzten Lagerhalle, die einem Juden gehörte und nicht weit hinter dem Bahnhof lag, in einem Gebiet mit alten Wellblechbaracken, in dem kaum jemand wohnte. Sie kamen morgens in aller Frühe an, es war noch dunkel und die Straßen waren menschenleer. Sie waren müde von dem nächtlichen Weg, aber doch nicht so erschöpft wie sonst. Nach den erholsamen Tagen bei Hersch Rapaport und seiner Frau hatten sie die Strapazen einigermaßen gut überstanden. Nur Frau Frischman war noch immer blass und sprach wenig.
    Hanna war erleichtert, als sie die Häuser der Stadt sah, hier irgendwo wartete Malka auf sie. Sie griff nach Minnas Hand und sagte: »Heute bekommen wir Malka wieder.«
    Herr Stern, der Jude, dem die Lagerhalle gehörte, ließ ihnen Brot und Kannen mit heißem Kaffee bringen, dazu eine Tüte mit kleinen, dunkelroten Äpfeln, über die sie heißhungrig herfielen, obwohl sie ziemlich sauer schmeckten. In einer Ecke lagen drei Matratzen aufeinander, daneben ein Stapel Decken. »Die Matratzen sind für die Frauen«, sagte Mendel Frischman und Ruben nickte. Herr Wajs und Herr Kohen pressten die Lippen zusammen, sie hatten offensichtlich Mühe, ihrer Rolle als Gentlemen gerecht zu werden und ebenfalls zu nicken.
    Hanna hatte es beobachtet und sie wunderte sich, dass diese Szene sie amüsierte. Wir haben unsere Rollen doch noch nicht vergessen, dachte sie, egal, in welcher Situation wir uns befinden. Sie schlug vor, schichtweise zu schlafen, zuerst die Frauen, dann die Männer. Wajs und Kohen protestierten schwach, nickten dann aber erleichtert. Feste Verhaltensregeln haben etwas Gutes, auch wenn sie einem manchmal auf die Nerven gehen, dachte Hanna. Ohne Zivilisation würden wir uns jetzt um die Schlafplätze prügeln und die Stärksten würden gewinnen. Es lebe die gute Erziehung! Das dachte sie auch, als sie sich nach dem Frühstück, bevor sie sich hinlegten, einzeln zum Wasserhahn in der hinteren Ecke der Halle begaben und die anderen sich diskret, ohne es abgemacht zu haben, mit dem Rücken zum Wasserhahn setzten.
    Hanna lag zwischen Minna und Frau Wajs. Minna war sofort eingeschlafen, während Hanna noch wach lag, zu aufgekratzt, um Schlaf zu finden. Minnas Ellenbogen drückte in ihre Rippen, sie drehte sich vorsichtig auf die Seite und lag plötzlich Angesicht zu Angesicht mit Rachel Wajs. Das Gesicht der Frau war blass, sie hatte tiefe Ringe unter den Augen. Ihre Pupillen waren groß, die Lider dick und rot entzündet, sie litt unter einer Konjunktivitis. Hanna schloss die Augen, weil sie den forschenden Blick nicht aushielt, aber sie drehte das Gesicht nicht weg. Als sie die Augen öffnete, schaute die Frau sie immer noch an. Jetzt lächelte sie und Hanna lächelte zurück. Rachel Wajs war nicht ihre Freundin geworden, aber die gemeinsam durchgestandenen Gefahren und Strapazen hatten sie einander näher gebracht.
    Nachdem sie ein paar Stunden geschlafen hatte, wurde Hanna von Minna geweckt. »Mama, aufstehen, jetzt sind die Männer dran.«
    Hanna erhob sich, sie wollte gleich zu Doktor Rosner gehen, um zu sehen, ob Malka schon da war. »Ich komme mit«, sagte Minna, aber Hanna lehnte dieses Angebot nach einem Blick auf ihre Tochter ab. »Bleib du hier und ruhe dich aus«, sagte sie ausweichend. Sie wollte nicht aussprechen, wie furchtbar Minna aussah. Sie war zwar gewaschen, aber ihre Kleidung

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