Malka Mai
Hand genommen und an ihren Fingern herumgekaut.
»Willst du ihn füttern?«, hatte Schwester Zippi gesagt. »Dort auf dem Tisch steht sein Brei.«
Malka hatte ihn gefüttert, dann hatte sie die Scheibe Brot geschnappt, die Schwester Zippi ihr hingehalten hatte, eine zusätzliche Scheibe Brot, und war schnell weggelaufen.
Rafael konnte nicht sprechen, genau wie Antek, aber er strahlte sie an, wie Antek sie angestrahlt hatte. Wenn er sie sah, wurden seine Augen zu schmalen Schlitzen, sein Mund ging auf, seine Zunge schob sich heraus, er fing an zu zappeln und streckte ihr die Arme entgegen. Malka wischte ihm das Gesicht ab, küsste ihn und flüsterte ihm all die Worte ins Ohr, die Teresa immer zu Antek gesagt hatte. »Du bist etwas Besonderes, Rafi, etwas ganz Besonderes, nicht wahr? Du bist unser süßester Junge und wir haben dich lieb.« Rafael strahlte, brabbelte und fuhr ihr mit seinen feuchten Händen über das Gesicht.
Malka hatte ihm einen Stoffball genäht, aus alten Binden, weil Schwester Zippi natürlich keinen Flickkorb hatte wie Teresa, und hatte von der Schwester dafür ein paar Walnüsse bekommen, richtige Walnüsse, die sie in einem schmalen Durchgang zwischen zwei Häusern mit Steinen aufgeschlagen und gegessen hatte. Malka lief das Wasser im Mund zusammen, als sie an die Nüsse dachte.
Langsam kroch die Dämmerung bis zu Malkas Bett. Und dann ging die Tür auf. Schwester Rosa fuhr den Wagen herein, auf dem ein Tablett mit Marmeladenbroten stand, eine große Kanne Tee und Becher. Malka schnappte ihre Trainingshose, die am Fußende ihres Bettes lag, unter der Decke, genau wie der Pullover, und zog sich an.
Kaum hatte Schwester Rosa den ersten Becher Tee ausgeschenkt, stand Malka auch schon neben ihr. Der Tee war nur noch lauwarm, Malka hatte ihn mit ein paar Schlucken ausgetrunken. Für das Brot brauchte sie länger. Sie kaute noch immer, als sie ins Nachbarzimmer ging, zu Rafael. Sie wechselte ihm die Windeln, dann nahm sie ihn auf den Schoß und fütterte ihn, und wenn Schwester Zippi nicht herschaute, schob sie sich selbst einen Löffel von seinem Brei in den Mund. Sie dachte an Antek und die geschliffenen Bausteine. Wenn sie den alten Schmulik dazu brachte, für Rafael ebensolche Bausteine zu machen, würde sich Schwester Zippi vielleicht so sehr darüber freuen, dass sie ihr noch einmal Nüsse gab.
Als Rafael fertig war, wischte sie ihm das Gesicht ab, küsste ihn und ging dann in ihr Zimmer hinüber, um ihren Mantel zu holen, den sie immer unter dem Bett verstaute. Dann ging sie die Treppe hinunter, zum alten Schmulik.
Dieses Krankenhaus sah ganz anderes aus als das, in dem Malka einmal mit der Frau Doktor eine alte Tante besucht hatte. Das war in Krakau gewesen, am Tag, bevor der Krieg angefangen hatte. In dem Krakauer Krankenhaus waren die Zimmer weiß gewesen, mit weißen Betten und Nachttischen mit Blumen darauf, und die alte Tante hatte in einem sauberen Nachthemd im Bett gelegen. Hier gab es Feldbetten und Matratzen, auf denen die Leute in Kleidern lagen, ihre Bündel neben sich. Malka ging an ihnen vorbei, die Treppe hinunter in den Keller.
»Da bist du ja«, sagte Schmulik. Er wickelte frisch gewaschene Mullbinden auf. Malka schaute ihm eine Weile zu und fragte ihn dann, ob er nicht aus Holz ein paar Bausteine für Rafael machen könnte. Als er nickte, fügte sie hinzu: »Sie müssen gut abgeschliffen sein, damit er sich nicht wehtut.«
Schmulik lächelte und fuhr ihr über den kahlen Kopf, auf dem die Haare schon wieder anfingen zu wachsen. »Mal sehen, ob ich heute was hinkriege«, sagte er. »Komm morgen früh wieder.«
Sie nickte und verließ das Krankenhaus.
Sie ging immer die gleichen Strecken, so wie sie es in Skole getan hatte, und wie in Skole stellte sie sich vor Geschäfte und hielt Leuten, die herauskamen, die Hand hin und sagte: »Ich hab Hunger.«
Das stimmte, sie hatte Hunger, obwohl sie, seit sie im Krankenhaus war, regelmäßiger etwas zu essen bekam als früher, aber es war wohl zu wenig, um den Hunger zu vertreiben. Manchmal dachte sie auch, der Hunger sei so sehr Teil von ihr selbst geworden, dass es keine Rolle mehr spielte, ob sie etwas aß oder nicht, sie würde ihn nie wieder loswerden.
Mittags, wenn im Krankenhaus der Eintopf verteilt wurde, stellte sie sich unten im Erdgeschoss an, bei den Erwachsenen. Die Portionen der Erwachsenen waren etwas größer. Jeder, der nicht im Bett liegen musste, nahm sich einen Teller von einem Stapel und stellte sich
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