Malka Mai
in die Reihe, bis er dran war und die Schwester ihm eine Kelle Essen auf den Teller kippte.
Nach dem Mittagessen ging sie die Treppe hinauf und fütterte Rafael, wenn er noch nicht gegessen hatte, dann lief sie wieder durch das Ghetto. Inzwischen kannte sie sich auch hier gut aus und hatte ihre festen Stellen, zum Beispiel vor der Bäckerei, die sie sehr schnell gefunden hatte, sie hatte nur ihrer Nase nachzugehen brauchen. Manchmal unterbrach sie ihre Spaziergänge, um schnell zu Rafael zu rennen, nur um ihn zu sehen, um ihm einmal über den Kopf zu streicheln und um ihm, wenn keine Schwester im Zimmer war, schnell einen Kuss auf die feuchten Backen zu drücken.
Abends war sie dann rechtzeitig wieder im Krankenhaus und schlich zu ihrem Bett, um die Verteilung der Nachtsuppe nicht zu verpassen, und zum Schlafen legte sie sich immer mit dem Rücken zu den anderen. Sie hatte gelernt, nichts zu hören, nichts zu sehen, sich in sich selbst zu verkriechen.
Es war ein kalter, grauer Tag. Die Wolken hingen tief über dem Ghetto, schienen fast mit den Hausdächern zu verschmelzen. Malka hatte schon zwei Runden durch das Ghetto gedreht und stand vor der Bäckerei und bettelte, als sie plötzlich Lautsprecher hörte, Schüsse, deutsche Stimmen: »Raus! Raus! Auf den Platz! Schneller!« Wieder knallten Schüsse, wieder bellten Hunde.
Entsetzt schaute sie sich um. Die Leute bewegten sich rasch und verschwanden lautlos in Häusern. Auf einmal war die Straße leer.
Malka rannte zum Krankenhaus zurück, lief in den Keller, durch den Gang, durch den Raum mit den Särgen, durch die Holztür, die Treppe hinauf, durch den Garten zum Zaun. Die Konturen verschwammen vor ihren Augen, sie tastete zwischen den Büschen nach dem Loch, fand es und kroch hinaus auf die arische Seite.
Das Haus mit den vernagelten Fenstern war bewohnt, obwohl man das vom Ghetto aus nicht sehen konnte. Malka stellte es fest, als sie durch den schmalen Gang zwischen dem Haus und einer halb zerfallenen Mauer gelaufen war und das Haus nun von der anderen Seite sah, von der arischen. Von vorn hatte es normale Fenster mit Vorhängen, an einem Fenster im Erdgeschoss saß eine dicke alte Frau, die Arme breit auf das Sims gelehnt, und schaute heraus. Neben ihr buckelte eine Katze. Als sie sah, dass Malka sie anstarrte, hob sie drohend die Hand. Malka lief schnell weiter. Hinter sich hörte sie immer noch die Stimmen der Deutschen und ab und zu Schüsse. Voller Panik rannte sie immer geradeaus, bis sie so weit vom Ghetto entfernt war, dass sie nichts mehr hörte, nur den normalen Lärm einer normalen Straße. Ciotka, dachte sie, wäre ich doch nur in Skole, dann könnte ich zu Ciotka gehen.
Sie lief und lief. Auch hier hing der Himmel tief und weißlich grau über den Häusern und verschluckte den Rauch, der aus den Schornsteinen stieg. Erst als Malka an einem Marktplatz ankam, blieb sie stehen. Es gab nur wenige Stände, es war ja Winter, die Bauern hatten nichts anderes anzubieten als Kartoffeln, Kohl und Rüben. An einem Stand gab es Äpfel. Malka streckte automatisch die Hand aus, als die Bäuerin, die dick vermummt hinter ihren Äpfeln stand, sie anschaute.
Die Frau nahm ein paar Äpfel in die Hand, drehte sie um, betrachtete sie und hielt Malka dann einen hin, der an einer Seite angefault war. Verblüfft nahm Malka den Apfel, bedankte sich und lief schnell weiter. Sie aß den Apfel nicht, sie steckte ihn in ihre Manteltasche und dachte wieder an Ciotka, die ihr auch einmal einen Apfel gegeben hatte. Zum Abschied.
Sie kam an eine Garküche, aus der es wunderbar nach Suppe roch, nach Gemüsesuppe mit Fleisch. Vor der Garküche drängten sich Menschen mit Essgeschirren in den Händen. Als Malka sah, dass auch Kinder darunter waren, stellte sie sich einfach dazu, eigentlich nur, um den Geruch nicht aus der Nase zu verlieren. Seltsamerweise hatte sie keine Angst. Manche der Kinder waren kahl geschoren, so wie sie, Schmulik hatte Recht gehabt, die Läuse gingen offenbar auch auf christliche Köpfe.
Malka ließ sich weiterschieben. Es war angenehm warm zwischen den Menschen. Sie wunderte sich, dass niemand drängte und stieß, die Leute standen ruhig da und machten manchmal einen Schritt vorwärts. Wie eine große Schnecke aus Menschen, dachte Malka, als sie wieder ein Stück vorwärts geschoben wurde. Es fing an zu schneien, dicke Flocken sanken auf die Köpfe der Wartenden, aber niemand verließ die Schlange, auch Malka nicht.
Dann spürte sie keinen Schnee
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